Hat der Mensch in der westlichen Kultur noch ein Schicksal?

Um es vorwegzunehmen, es soll mir hier nicht um die üblichen Fragen nach dem Schicksal an sich, einer Vorherbestimmung oder ähnliches gehen.
Ich hatte nämlich letztens einem Arzt in einem Gespräch über Fragen der Sterbehilfe (zu der es viele Meinungen gibt, aber auch darum geht es nicht) zugehört, der im Deutschlandfunk sinngemäß sagte, dass die Menschen in unserem Kulturkreis immer weniger bereit sind, ein Schicksal zu haben. Im Grunde wollen wir alle jugendlich steinalt werden, dabei bis zum Schluss kerngesund und anschließend schnell, in Würde und vor allem, ohne jemandem zur Last zu fallen, sterben. Eine interessante Sichtweise, wie ich fand, allerdings bin ich mir nicht im Geringsten sicher, ob ich ihr so vorbehaltlos zustimmen kann.
Was meint ihr, haben wir ein Schicksal oder schaffen wir es ab, wie gut sind wir in der Lage, mit der Zufälligkeit unseres eigenen Lebens umzugehen, sie zu akzeptieren? Was ist, wenn wir uns eines Tages doch mit dem eigenen Siechtum auseinandersetzen müssen, aber feststellen, dass wir doch viel zu sehr am Leben hängen? Was dann?

Nachtrag: Gedanken, auch und gerade unfertige, sind mir wesentlich lieber als Grundsatzstandpunkte und Rechthabereien...

Biene Maja2009-02-18T11:40:53Z

Beste Antwort

Sehr interessant die Frage, jedoch auch sehr schwer etwas passendes zu sagen.
Das liegt daran, dass sich in diesem Wort "Schicksal" so viele verschiedene Aspekte vereinen: Zufall, Vorherbestimmung, Glück, Pech.

Ja, ich denke, wir können wirklich sehr schlecht mit negativen Zufällen, also dem Pech, Unglück, Schicksalsschlägen umgehen. Das liegt daran, dass unsere Gesellschaft darauf getrimmt ist zu leisten und erfolgreich zu sein. Dieser Leistungsdruck durchzieht all unsere Lebensbereiche. Im Job heißt das Karriere machen, Privat muss man großes Haus, hübschen Partner, intelligente Kinder vorweisen können, köperlich hat man fit zu sein und muss Modelmaße haben (Gilt für Männer und Frauen, da hat die Emanzipation viel geleistet...:-)) usw.

Da ist natürlich kein Platz für Kündigung, Tod, Krankheit, eben alles was unbequem ist und Perfektion und Erfolg entgegensteht.

Des weiteren haben wir in Deutschland das Probleme, dass wir eine Neidgesellschaft sind. Das heißt, dass wir - zumindest die meisten unter uns - uns immer mit unseren "Nachbarn" vergleichen müssen. (Richtig gut scheint es uns erst zu gehen, wenn das eigene Auto größer ist als das des Nachbarn.) Das führt, auf Deine Frage bezogen dazu, dass wir, wenn uns das Schicksal hart trifft, dies oft zu verbergen suchen, da wir nicht die Achtung, den Neid!!!, des "Nachbarn" verlieren wollen, um nicht als Verlierer dazustehen.

Der gemeine Deutsche kann einen Schicksalsschlag - aus den angeführten Gründen, also schlecht bis gar nicht akzeptieren.

Dabei ist es jedoch gerade so, dass das wahre, langzeitige Glück darin begründet liegt, dass gute und schlechte Zeiten sich im Leben abwechseln. D.h. nur wer einen harten Schicksalsschlag akzeptieren und bewältigen kann, ist in der Lage wahres Glück zu empfinden. Erst das Durchwandern des Tales ermöglicht den Gipfelsturm!!!

Menschen, die den unglücklichen Zufall oder ihr Schicksal nicht akzeptieren können, werden auf lange Sicht also nicht glücklich werden können und leider nicht auf ein erfülltes Leben - ein Leben in Fülle - zurückblicken können.

Und ja, wir werden uns mit unserem eigenen Siechtum auseinandersetzen müssen. Nach einem Leben in Fülle (s.o.) werden wir jedoch vielleicht damit umzugehen wissen. Hoffe ich zumindest....

szilmol2009-02-19T04:05:24Z

Ich glaube, dass der Mensch in der westlichen Kultur noch ein Schicksal hat.
Meiner Meinung nach ist es so, obwohl viele das Gegenteil davon glauben. Sie denken oft, dass man alles und immer in allen Bereichen des Lebens wählen kann. Der Mensch hat also immer freie Wahl und freien Willen. Aber ich denke, das hat man nicht. Wenn ich z.B. mit jemandem zusammen leben möchte (und dementsprechend alles dafür tue, dass es so wird), dann hat der andere Mensch noch die freie Wahl, ob er es will. Wenn nicht, dann habe ich zwar viele andere Möglichkeiten, diese aber nicht.
Manchmal schließen sich die freien Willen und Wahlen der Menschen einander aus, oder? Dann ist es mein Schicksal, eine andere Möglichkeit zu suchen.
Ich denke, dass man vor allem Empathie braucht, um das Schicksal der anderen Leute akzeptieren und verstehen zu können.
Und unter welchen Umständen entwickelt sich Empathie am besten?
Ich denke, dazu muss man nicht nur mit Erfolg Erfahrung haben.
Es ist schwer, etwas zu erlernen.

Paul L2009-02-18T06:22:19Z

Das Schicksal kümmert sich einen Dreck darum, ob man bereit ist es zu akzeptieren oder nicht.

Lulle2009-02-17T15:24:46Z

Also für mich hat Schicksal starke Berührungen mit Unfreiheit und Unterdrückung.

Unfreiheit wie in Deinem Beispiel, wenn sich die Frage einer Sterbehilfe stellt wegen einer schicksalhaften unheilbaren, eine entsetzliche Zukunft verheißenden Krankheit. Schicksal als eine Ohnmacht.

Schicksal aus Unterdrückung, nicht nur (!) aus historischer Sicht. Der unterdrückte Mensch ist weitaus stärker dem Schicksal ausgeliefert - einer Situation, der er nicht entgehen kann. Eine Situation, in der die Eltern das Schicksal für die Kinder, die vorhergehende Generation das Schicksal für die nächste oder gar der Staat das Schicksal für die Bürger ist.
In der Religion ereilt dem Menschen beispielsweise ein Schicksal durch das bekannte Apfel-Adam-Eva-Thema.
Vielleicht gehört auch das Schicksal vieler Hartz IV-Kinder hierher?

Deshalb empfinde ich es als positiv, wenn Schicksal in unserer heutigen Gesellschaft eine geringere Rolle spielt. Die Menschen können ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen oder versuchen es wenigstens, wehen sich nicht mehr als Ausgelieferte. Und: Schon immer hat sich der Mensch gegen sein (vermeintliches) Schicksal aufgebäumt.

In der "westlichen Kultur" hat Schicksal schon immer eine geringere Rolle gespielt als in Kulturen, die weniger selbstkritisch aufgestellt sind.

Auch Goethe wollte "jugendlich steinalt werden" - siehe seine Affäre mit Ulrike im hohen Alter - und viele andere vor und nach ihm. Das ist keine Besonderheit der aktuellen Gesellschaft sondern das Widersetzen oder Loslösen des Geistes - für mich etwas durchaus Positives, das den denkenden Menschen auszeichnet.

savage2009-02-17T13:44:27Z

puh, das ist ´ne schwierige frage. eigentlich geht´s ja irgendwie insgesamt um den sinn des lebens. habe mir da oft gedanken drüber gemacht, als mein ex (mit 41) gestorben ist.
ein schicksal haben wir alle, aber wie sieht das aus. wir wissen´s ja nicht. und können wir es beeinflussen? habe im januar seit langem mal wieder meine eltern besucht und wir waren auch bei meiner oma (95) im altenheim. hatte sie schon seit 5 jahren nicht mehr gesehen und hätte sie fast nicht erkannt. sie hat gesagt, sie will jetzt endlich sterben, weil sie nichts mehr selber kann (war früher sehr agil). also sowas möchte ich auch nicht haben...
aber was ist mit unfällen, krebs, ms und was es so alles gibt. ich glaube, solange es noch einen schimmer von hoffnung gibt, hängen wir am leben. die andere seite ist ja dann, dass wir niemanden auf die nerven fallen wollen, uns womöglich schämen, wenn wir ein pflegefall werden und angehörigen auf der tasche liegen. man sieht immer nur das körperliche, aber sowas geht ja auch auf die psyche...
ich habe ja auch so meine probleme und einen antrag auf erwerbsunfähigkeit angefordert. aber als das ding mit der post kam, habe ich es erst mal in den hintersten winkel geschoben. oft ist der geist jugendlicher als der körper (auch wenn´s nach außen hin anders aussieht) und dann zu akzeptieren, dass das eben so ist, finde ich schwer...;-)
hmm, sorry, habe halt mal gelabert...

Weitere Antworten anzeigen (10)