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Hat der Mensch in der westlichen Kultur noch ein Schicksal?
Um es vorwegzunehmen, es soll mir hier nicht um die üblichen Fragen nach dem Schicksal an sich, einer Vorherbestimmung oder ähnliches gehen.
Ich hatte nämlich letztens einem Arzt in einem Gespräch über Fragen der Sterbehilfe (zu der es viele Meinungen gibt, aber auch darum geht es nicht) zugehört, der im Deutschlandfunk sinngemäß sagte, dass die Menschen in unserem Kulturkreis immer weniger bereit sind, ein Schicksal zu haben. Im Grunde wollen wir alle jugendlich steinalt werden, dabei bis zum Schluss kerngesund und anschließend schnell, in Würde und vor allem, ohne jemandem zur Last zu fallen, sterben. Eine interessante Sichtweise, wie ich fand, allerdings bin ich mir nicht im Geringsten sicher, ob ich ihr so vorbehaltlos zustimmen kann.
Was meint ihr, haben wir ein Schicksal oder schaffen wir es ab, wie gut sind wir in der Lage, mit der Zufälligkeit unseres eigenen Lebens umzugehen, sie zu akzeptieren? Was ist, wenn wir uns eines Tages doch mit dem eigenen Siechtum auseinandersetzen müssen, aber feststellen, dass wir doch viel zu sehr am Leben hängen? Was dann?
Nachtrag: Gedanken, auch und gerade unfertige, sind mir wesentlich lieber als Grundsatzstandpunkte und Rechthabereien...
15 Antworten
- vor 1 JahrzehntBeste Antwort
Sehr interessant die Frage, jedoch auch sehr schwer etwas passendes zu sagen.
Das liegt daran, dass sich in diesem Wort "Schicksal" so viele verschiedene Aspekte vereinen: Zufall, Vorherbestimmung, Glück, Pech.
Ja, ich denke, wir können wirklich sehr schlecht mit negativen Zufällen, also dem Pech, Unglück, Schicksalsschlägen umgehen. Das liegt daran, dass unsere Gesellschaft darauf getrimmt ist zu leisten und erfolgreich zu sein. Dieser Leistungsdruck durchzieht all unsere Lebensbereiche. Im Job heißt das Karriere machen, Privat muss man großes Haus, hübschen Partner, intelligente Kinder vorweisen können, köperlich hat man fit zu sein und muss Modelmaße haben (Gilt für Männer und Frauen, da hat die Emanzipation viel geleistet...:-)) usw.
Da ist natürlich kein Platz für Kündigung, Tod, Krankheit, eben alles was unbequem ist und Perfektion und Erfolg entgegensteht.
Des weiteren haben wir in Deutschland das Probleme, dass wir eine Neidgesellschaft sind. Das heißt, dass wir - zumindest die meisten unter uns - uns immer mit unseren "Nachbarn" vergleichen müssen. (Richtig gut scheint es uns erst zu gehen, wenn das eigene Auto größer ist als das des Nachbarn.) Das führt, auf Deine Frage bezogen dazu, dass wir, wenn uns das Schicksal hart trifft, dies oft zu verbergen suchen, da wir nicht die Achtung, den Neid!!!, des "Nachbarn" verlieren wollen, um nicht als Verlierer dazustehen.
Der gemeine Deutsche kann einen Schicksalsschlag - aus den angeführten Gründen, also schlecht bis gar nicht akzeptieren.
Dabei ist es jedoch gerade so, dass das wahre, langzeitige Glück darin begründet liegt, dass gute und schlechte Zeiten sich im Leben abwechseln. D.h. nur wer einen harten Schicksalsschlag akzeptieren und bewältigen kann, ist in der Lage wahres Glück zu empfinden. Erst das Durchwandern des Tales ermöglicht den Gipfelsturm!!!
Menschen, die den unglücklichen Zufall oder ihr Schicksal nicht akzeptieren können, werden auf lange Sicht also nicht glücklich werden können und leider nicht auf ein erfülltes Leben - ein Leben in Fülle - zurückblicken können.
Und ja, wir werden uns mit unserem eigenen Siechtum auseinandersetzen müssen. Nach einem Leben in Fülle (s.o.) werden wir jedoch vielleicht damit umzugehen wissen. Hoffe ich zumindest....
Quelle(n): Eigene Meinung und Inspirationen von Wilhelm Schmid "Glück - Alles, was sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist." - ¿bachataLv 6vor 1 Jahrzehnt
Mein Schicksal war es der westlichen Kultur den Rücken zu kehren.
Im Süden, ihr sagt dazu abwertend Bananenrepublik, lebt es sich aber sehr gut.
Kultur erleben, ist mein Motto, sterben müssen sowieso alle.
Heute ist mein Tag, was interessiert mich das Morgen.
Probleme habt ihr, verstehe das leider nicht.
Passt auf eure Gesundheit auf.
- vor 1 Jahrzehnt
Das Schicksal kümmert sich einen Dreck darum, ob man bereit ist es zu akzeptieren oder nicht.
- Poppy_I.Lv 6vor 1 Jahrzehnt
Ich stelle gerade fest, dass der eigene Körper sich nicht anpasst. Er soll gefälligst auch bei "irgendwo, Erwachsen" stehen bleiben, so wie mein Geist.
Nein, mein Körper meint sich neuerdings das Recht herausnehmen zu dürfen, dass er mehr Ruhe möchte, leicht zunehmen und nur noch gemütlich unterwegs sein - sogar anfangen, mir zu sagen, was ich denn essen dürfen soll.
Das ist ein überraschenden Gefühl. Bisher ging ich davon aus, genau das als Zukunft vor mir zu haben, was Du oben geschrieben hast:
"...steinalt werden, dabei bis zum Schluss
kerngesund und anschließend schnell,
in Würde und vor allem, ohne jemandem
zur Last zu fallen, sterben"
Langsam aber sicher bekomme ich mit, dass es mir wohl wie vielen Leuten geht - man vergisst einfach, dass man altert. Man guckt nicht mehr oft in den Spiegel und wenn, ist man überrascht, wer einem da begegnet.
Dann fängt man an, sich Gedanken zu machen. Patientenverfügung?
Ja, aber - woher weiss ich, was ich dann will? Habe ich nicht diesen Roman gelesen von einem Torso mit Kopf, der ein für sich lebenswertes Leben fand? Welche Vorstellungen hat man wirklich dann, wenn man eigentlich geglaubt hätte, lieber sterben zu wollen? Was empfindet man in einem Koma. Wirklich nichts? Wann ist man bereit, abzutreten und wie kann man das dann kommunizieren?
Ja, das gibt wohl wirklich ein Gebilde unfertiger Gedanken.
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- mytilenaLv 7vor 1 Jahrzehnt
Ich bin der Meinung, dass niemand wirklich voraussehen kann, wie er sich in einer bestimmten Situation verhält. Auch wenn er denkt, dass er sich selbst kennt. Kein Mensch kennt sich wirklich. Er kann Prognosen stellen, er kann versuchen, für sich selbst alles zu regeln, aber es kann trotzdem ganz anders kommen. Wenn ich an meine Großeltern denke, die früher in Schlesien lebten und glaubten, dort alt zu werden, aber durch den Krieg in die Nähe von Berlin verschlagen wurden und im mittleren Alter noch einmal ganz von vorn anfangen mussten, dann berufe ich mich nicht darauf, was ist, sondern kann nichts dazu sagen, was mich noch trifft in meinem Leben. Auch wenn man manchmal denkt, dass einem das Schlimmste schon begegnete, kann es schlimmer werden, oder aber schöner. Das Leben ist unberechenbar.
Pläne kann man machen, aber man sollte auch auf Eventualitäten gefasst sein.
Ein Sprichwort sagt auch: "Man sollte erst die Schuhe ausziehen, wenn man am Fluss ist."
- vor 1 Jahrzehnt
Noch vor ein paar Jahren hätte ich gesagt: Schicksal son Quatsch! Jeder hat doch sein Leben selbst in der Hand. Mach was draus du musst es nur angehen.
Heute denke ich anders. Natürlich können wir uns noch lange nicht mit den Drittewelt Ländern vergleichen. Trotzdem gibt es gesellschaftliche Unterschiede, die uns die Chance auf eine gewünschte Zukunft nehmen.
Ich frage mich was ist Schicksal. Ist es das Unabdingbare, das was wir nicht steuern können, das Zufällige? Oder ist Schicksal etwas vorherbestimmtes, eine Aufgabe, eine Prüfung?
Ein Kind fragt nicht warum gerade ich, wenn es sich ein Bein bricht. Je älter wir werden, desto mehr neigen wir dazu mit unserem Schicksal zu hadern. Sein Schicksal nur hinzunehmen ist feige. Aber kann man es nicht annehmen verbittert es einen. Ich gebe offen zu, mein Schicksal macht mir Angst. Ich weiß nicht ob ich in jeder Situation die Kraft habe es zu tragen.
- vor 1 Jahrzehnt
Also für mich hat Schicksal starke Berührungen mit Unfreiheit und Unterdrückung.
Unfreiheit wie in Deinem Beispiel, wenn sich die Frage einer Sterbehilfe stellt wegen einer schicksalhaften unheilbaren, eine entsetzliche Zukunft verheißenden Krankheit. Schicksal als eine Ohnmacht.
Schicksal aus Unterdrückung, nicht nur (!) aus historischer Sicht. Der unterdrückte Mensch ist weitaus stärker dem Schicksal ausgeliefert - einer Situation, der er nicht entgehen kann. Eine Situation, in der die Eltern das Schicksal für die Kinder, die vorhergehende Generation das Schicksal für die nächste oder gar der Staat das Schicksal für die Bürger ist.
In der Religion ereilt dem Menschen beispielsweise ein Schicksal durch das bekannte Apfel-Adam-Eva-Thema.
Vielleicht gehört auch das Schicksal vieler Hartz IV-Kinder hierher?
Deshalb empfinde ich es als positiv, wenn Schicksal in unserer heutigen Gesellschaft eine geringere Rolle spielt. Die Menschen können ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen oder versuchen es wenigstens, wehen sich nicht mehr als Ausgelieferte. Und: Schon immer hat sich der Mensch gegen sein (vermeintliches) Schicksal aufgebäumt.
In der "westlichen Kultur" hat Schicksal schon immer eine geringere Rolle gespielt als in Kulturen, die weniger selbstkritisch aufgestellt sind.
Auch Goethe wollte "jugendlich steinalt werden" - siehe seine Affäre mit Ulrike im hohen Alter - und viele andere vor und nach ihm. Das ist keine Besonderheit der aktuellen Gesellschaft sondern das Widersetzen oder Loslösen des Geistes - für mich etwas durchaus Positives, das den denkenden Menschen auszeichnet.
- Anonymvor 1 Jahrzehnt
Fuer mich ist das Wort "Schicksal" das nicht klar kommen mit der Realitaet. Wenn etwas unvorhergesehenes passiert ist es auf alle Faelle das "Schicksal". Das ist genau das gleiche wie mit dem "Zufall".
Natuerlich ist nichts vorhersehbar, das liegt in der Natur der Dinge.
Fuer mich persoenlich ist es eine Lebenseinstellung wie man sein Leben fuehrt. In meinen 28 Jahren des Lebens hatte ich "gute" sowie "schlechte" Zeiten. Aber mit alle "Hochs" und "Tiefs" hatte ich nie ein Problem oder habe mich darueber beklagt.
Das wenn es den Anschein hat das Menschen ihrer Selbst immer mehr Bewustsein erlangen und Kontrollierter handeln, Krankheiten ausschliessen, Gene zu unseren gunsten veraendern, klueger werden oder sonstigen Fortschitt beschreiten gibt es immer eine Kehrseite der Medailie.
...das sind meine Gedanken
gruesse
pam
- savageLv 7vor 1 Jahrzehnt
puh, das ist ´ne schwierige frage. eigentlich geht´s ja irgendwie insgesamt um den sinn des lebens. habe mir da oft gedanken drüber gemacht, als mein ex (mit 41) gestorben ist.
ein schicksal haben wir alle, aber wie sieht das aus. wir wissen´s ja nicht. und können wir es beeinflussen? habe im januar seit langem mal wieder meine eltern besucht und wir waren auch bei meiner oma (95) im altenheim. hatte sie schon seit 5 jahren nicht mehr gesehen und hätte sie fast nicht erkannt. sie hat gesagt, sie will jetzt endlich sterben, weil sie nichts mehr selber kann (war früher sehr agil). also sowas möchte ich auch nicht haben...
aber was ist mit unfällen, krebs, ms und was es so alles gibt. ich glaube, solange es noch einen schimmer von hoffnung gibt, hängen wir am leben. die andere seite ist ja dann, dass wir niemanden auf die nerven fallen wollen, uns womöglich schämen, wenn wir ein pflegefall werden und angehörigen auf der tasche liegen. man sieht immer nur das körperliche, aber sowas geht ja auch auf die psyche...
ich habe ja auch so meine probleme und einen antrag auf erwerbsunfähigkeit angefordert. aber als das ding mit der post kam, habe ich es erst mal in den hintersten winkel geschoben. oft ist der geist jugendlicher als der körper (auch wenn´s nach außen hin anders aussieht) und dann zu akzeptieren, dass das eben so ist, finde ich schwer...;-)
hmm, sorry, habe halt mal gelabert...
- szilmolLv 4vor 1 Jahrzehnt
Ich glaube, dass der Mensch in der westlichen Kultur noch ein Schicksal hat.
Meiner Meinung nach ist es so, obwohl viele das Gegenteil davon glauben. Sie denken oft, dass man alles und immer in allen Bereichen des Lebens wählen kann. Der Mensch hat also immer freie Wahl und freien Willen. Aber ich denke, das hat man nicht. Wenn ich z.B. mit jemandem zusammen leben möchte (und dementsprechend alles dafür tue, dass es so wird), dann hat der andere Mensch noch die freie Wahl, ob er es will. Wenn nicht, dann habe ich zwar viele andere Möglichkeiten, diese aber nicht.
Manchmal schließen sich die freien Willen und Wahlen der Menschen einander aus, oder? Dann ist es mein Schicksal, eine andere Möglichkeit zu suchen.
Ich denke, dass man vor allem Empathie braucht, um das Schicksal der anderen Leute akzeptieren und verstehen zu können.
Und unter welchen Umständen entwickelt sich Empathie am besten?
Ich denke, dazu muss man nicht nur mit Erfolg Erfahrung haben.
Es ist schwer, etwas zu erlernen.