Kann man in Hochkulturen an Gott glauben, ohne an heilige Schriften zu glauben?
Naturvölker die keine Schrift kennen, können an Gott oder Götter glauben, wobei dieser Glaube, dann durch mündliche Überlieferung weitergeben wird.
Dies meine ich nicht. Ich meine damit, ob es möglich ist, eine direkte unmittelbare Beziehung zu Gott zu besitzen, die aber weder durch Papier oder Überlieferung beeinflusst ist.
toscolano2008-04-07T11:50:05Z
Beste Antwort
Eine interessante Frage! Einerseits zeigt uns die Religionsgeschichte, dass alle Religionen, die für Hochkulturen prägend geworden sind, sich auf kanonische heilige Texte gründen. Die Beispiele liegen auf der Hand: Hinduismus: Veden, Upanischaden, Bhagavad-Gita; Buddhismus: Pali-Kanon; Judentum: Thora und Propheten; Christentum: NT/Bibel; Islam: Koran. Auch diejenigen Religionen, die Weltgeltung suchen, haben sich in zunehmendem Maße verschriftlichte Glaubensnormen gegeben (Bahai, Sikh). Anderseits aber gibt es immer wieder Strömungen, die die Fixiertheit auf den "Buchstaben" durchbrechen wollen. Schon Paulus deutet das in seinen Briefen (die er ja nicht absichtlich zu heiligen Schriften machen wollte!) an. Er arbeitet missionarisch ohne Evangelientexte. Mystiker sind es in allen Religionen, die die strikte Bindung an den Buchstaben überschreiten: die Sufis im Islam, die Mystiker wie Meister Eckart oder die Quäker im Christentum. Auch in der zeitgenössischen Patchwork-Spiritualität zeigt sich das "Zurück" in die Stille, zur wortlosen Anbetung, zum Schweigen vor dem Heiligen. Aber je stärker die Position der "heiligen Schrift" ist, desto enger ist die Bindung der Gläubigen aneinander und an das gemeinsame Ziel. Das gilt für Muslime wie für Evangelikale.
Wenn Du Wert darauf legst, dass Gott wirklich Gott ist und nicht ein kleiner Westentaschengötze, kannst Du ihn nicht ohne sein Wort - die Bibel - haben. Wo und wie solltest Du ihn sonst kennen lernen?
Die Kenntnis der Bibel ersetzt aber nicht die persönliche Gottesbeziehung, die immer die Hauptsache ist.
das kollektive Unterbewusstsein (als Reaktion auf gesellschaftspolitische Ereignisse) einer Gesellschaft hat mittelbaren Einfluss auf ihren Glauben. Die kath. Kirche hat das jahrhundertelang aktiv kontrolliert (z.B. die Beichte: gib mir Geld und Information - ich geb dir den Ablass) Jesus war eine hochpolitische Figur, die man durch das Kreuzsymbol entschärft hat - das Fischsymbol der urchristlichen Gemeinden ist lebendig und im Untergrund aktiv.. Ein Hochkultur per se braucht Schriften und Beweise für ihren Glauben.. je weniger kontrollierbar eine Gesellschaft ist desto diffuser wird ihr Glaube und die Glaubensvorstellungen seiner Mitglieder
Vorrausgehend wird aber sein, dass Du überhaupt erst DURCH einen bestimmten Glauben/Religion zu Deinem "Einzel-Glaube" findest.
Ich glaube nicht, dass sich jemand ohne Beeinflussung, egal ob man das nun positiv oder negativ findet, seinen Glauben alleine stärkt oder findet. Wir sind in der Mehrheit soziale Wesen, die alleine gar nichts schaffen.
Wenn Dir aber "Vorschriften" nicht gefallen, dann kannst Du Dich aber für Dich alleine, wenn Du es so nennen möchtest, weiterentwickeln.
Hauptsache Du für Dich hast überhaupt eine Beziehung zu Gott. Der Rest findet sich früher oder später wieder. Glaube mir.