Muss Gerechtigkeit immer wieder neu definiert werden?

2010-11-30T06:34:31Z

Danke Volox, du hast selbstverständlich Recht, schön dass mich einer versteht. Unter Gerechtigkeit verstehen die Naturvölker z.B. etwas anderes, als Platon.

2010-11-30T10:41:38Z

Seit Descartes und Kant mit Beginn der Neuzeit hat Gerechtigkeit eine philosophische Wende genommen. Gerechtigkeit war zu etwas subjektiven geworden. Jeder konnte seinen eigenen Maßstab für eine vorhandene Wirklichkeit anlegen.
Wie oben White_Mike_I bereits geschrieben hat.
Danke für eure Antworten.

Ist gerechtes Handeln überhaupt möglich?

ڿ♥ڰ kleine Soe «ಌڰۣ2010-11-30T12:19:00Z

Beste Antwort

das entscheidet meistens die Mehrheit (Masse von etwas) würde ich sagen..
aus Sicht eines/des Einzelnen mag es deswegen aber noch lange nicht gerecht sein
- selbst wenn er gerecht war oder gehandelt hat
ich denke das ist nicht nur heute, sondern war auch schon früher so

Schleier des Nichtwissens2010-12-01T23:09:54Z

Ja.

Ich denke, dass es in der Frage nach Gerechtigkeit einige Unklarheiten gibt. Hier ist mein spontaner Lösungsansatz:
1. Es gibt unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Existenz der Gerechtigkeit. Für Einige ist Gerechtigkeit etwas Objektives, für Andere etwas Subjektives, wie auch einige Antworten zeigen. Wenn Gerechtigkeit etwas Subjektives ist, gibt es keine tatsächliche Gerechtigkeit, sondern nur Ansichten von Gerechtigkeit, beschränken wir uns daher auf die Idee, dass Gerechtigkeit etwas Objektives ist.
2. Wenn Gerechtigkeit etwas Objektives ist, stellt sich die Frage, ob wir sie absolut erkennen können. Wenn ja, kein Problem. Wir wissen, was gerecht ist, auch wenn wir nicht immer danach handeln. Aber: Die Geschichte der Menschheit zeigt m. E., dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Platon und Aristoteles waren Verfechter der Sklaverei. Nicht, weil sie dort moralisch ein Auge zudrückten, sondern weil sie darin kein Gerechtigkeitsproblem sahen. Auch die Benachteiligung der Frauen, die früher weder wählen noch über eigenes Geld verfügen durften, wurde von den Männern nicht als ungerecht erachtet. Heute wäre es vielleicht die Homo-Ehe, die Befürworter als gerecht empfinden, während Gegner darin keine Gerechtigkeitsfrage sehen. Wenn es eine objektive Gerechtigkeit gibt, stellt sich die Frage, ob wir sie erkennen können. Vermutlich werden zukünftige Generationen den Kopf über unsere Ungerechtigkeiten schütteln, so wie wir das einstige Feudalsystem als ungerecht begreifen.
3. Ich vermute, dass zwei verschiedene Gerechtigkeitsbegriffe vermischt werden und dass viele Irritationen darin begründet sind: Es gibt erstens die konkrete oder systemimmanente Gerechtigkeit, zweitens die absolute Gerechtigkeit. Der zuvor genannte Aristoteles unterschied zwischen der kommutativen (ausgleichenden) und der distributiven Gerechtigkeit (Verteilungsgerechtigkeit). Diese Gerechtigkeitsbegriffe stehen meiner Erinnerung nach neben einigen anderen und müssen zudem z. B. durch die Billigkeit ausgeglichen werden, da sie an sich zu ungerechten Ergebnissen führen können. Ums verständlicher zu machen: Im Fußball ist es gerecht, wenn der Bessere gewinnt. Beim Lotto gewinnt nicht der Bessere, sondern der Glücklichere. Die Schule hat den Anspruch, nicht nur die Besseren zum Erfolg zu verhelfen, sondern nicht nur, aber auch den Schlechteren zur Seite zu stehen.

Richtig schwierig wird es in gesellschaftlichen und politischen Fragen: Was ist gerecht? Alle Kinder sollen die gleichen Chancen haben, die individuellen Fähigkeiten entscheiden (Chancengerechtigkeit). Wer viel kann, ist später reich. Oder ist es gerechter, dass ein Kind, dass über weniger Fähigkeiten verfügt - wofür es ja nichts kann - später ein ähnlich schönes Leben wie das von den Veranlagungen privilegierte Kind führen kann?
Oder: Ein Vater spart zeit seines Lebens für die Ausbildung oder den Wohlstand seines Kindes. Sein Nachbar nicht. Was ist gerecht? Dass der erstgenannte Vater seinem Kind eine rosige Zukunft bereiten kann, wofür er zeitlebens gearbeitet hat? Oder dass das Kind des Zweitgenannten gleiche Chancen erhält, weil man sich seine Eltern nicht aussuchen kann?

Leistungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Ergebnisgerechtigkeit und andere Formen der Gerechtigkeit sind konkrete Gerechtigkeitssysteme, die den Vorteil haben, dass man anhand klarer Kriterien ein Gerechtigkeitsurteil fällen kann. DIE Gerechtigkeit jedoch ist das übergeordnete System, dass die verschiedenen Formen der jeweiligen Gerechtigkeit in Einklang bringen muss. Ein hufiges Beispiel ist die Frage, warum eine Krankenschwester so wenig und ein Fußballstar so viel verdient: Innerhalb des Fußballs ist es gerecht, dass ein Star mehr als ein Mitläufer verdient. Aber das muss nicht für andere Bereiche gelten.

Man sollte übrigens zwischen "subjektiv" und "beliebig" unterscheiden. Gerechtigkeitsvorstellungen sind dann beliebig, wenn 'jeder seinen eigenen Maßstab anlegen kann'. Subjektive Gerechtigkeitsvorstellungen sind in großer Wahrscheinlichkeit objektiv angreifbar, verfügen aber über eine differenziertere Gerechtigkeitsanalyse.

Zu Deiner (vorläufigen) Abschlussfrage: Gerechtes Handeln ist möglich. Und es gibt bewunderswerte Beipiele für gerechtigkeitsmotiviertes Handeln. Aber es gibt auch zahlreiche tragische Beispiele dafür, dass Handlungen nicht nur als gerecht, sondern auch als in der Gerechtigkeit begründet vom handelnden Subjekt begriffen wurden, obwohl es meilenweit danebenlag. Ich freue mich über Mensche, die der Gerechtigkeit Geltung verschaffen wollen. Aber im Namen der Gerechtigkeit sind von Überzeugungstätern auch viele schreckliche Verbrechen verübt worden.

herkamann2010-12-01T16:00:47Z

Solange wie in dieser Welt nur Seelen existieren welche im Körperbewußtsein leben, muß der ursprüngliche Wert der "Gerechtigkeit" immer wieder neu von sündhaften Seelen festgelegt werden. Nur Gott hat Gerechtigkeit, weil Er als einzige Seele nie ins Körperbewußtsein kommt und Sünden begeht. Jetzt sind alle Seelen sündhaft und haben nur egoistische Ziele und ihre eigene Vorstelung von Gerechtigkeit. Liebe Grüße Herkamann

Deus ex Machina2010-11-30T18:27:39Z

Wie @volvox würde ich auch sagen: Nein.
Sondern die Anwendung der Gerechtigkeit, sei sie nun streng definiert worden oder bloß eine Art Bauchgefühl, muß andauernd und fortwährend die Prüfung, an den kontingenten Fakten der Welt sich abmühend, bestehen.
Ich könnte Gerechtigkeit ("dikaiosýne") auch Aristotelisch fassen und hätte trotzdem kein geringes Problem, diese Gerechtigkeitskonzeption auf das anzuwenden, was uns tagtäglich begegnet und widerfährt. Nehmen wir allein die sog. distributive Gerechtigkeit: warum sollte eine Hartz-IV-Familie mit 4 Kindern weniger Kindergeldunterstützung bekommen als eine 4-Kinder-Familie, deren beide Oberhäupter (Mutter und Vater) in Vollzeit arbeiten? Geht es da wirklich um die Kinder oder doch eher um die Eltern? (Sicher braucht die diese Vollzeit arbeitende Familie mehr Geld, um die Kinder, während die Eltern arbeiten, in einen Hort o.ä. unterzubringen ... aber warum wird den Hartz-IV-Familien das "Kindergeld" vollkommen gestrichen?)
Wenn Du mit dem Begriff "Gerechtigkeit" allerdings auch den Begriff der Angemessenheit verbindest, dann scheint es tatsächlich so zu sein, daß dieser Gerechtigkeitsbegriff stets und aufs neue definiert werden müßte. Obwohl die Grundlage des Gerechtigkeitsbegriffes sich von Zeit zu Zeit und von Kultur zu Kultur nicht wandelt: "Gerecht ist, wenn man das bekommt, was einem zusteht im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit, auf seine familiären Verhältnisse etc."

exenter2010-11-30T14:59:43Z

Was gerecht oder ungerecht ist hängt immer vom Stand der gesellschaftlichen Entwicklung ab. Letztendlich bestimmt die Gesellschaft was oder wen sie z. B. mittels des Strafrechts verfolgt wissen möchte. Das sieht man auch schon an der Wandlung des deutschen Strafrechts wo noch vor wenigen Jahren Homosexualität und Selbstmord unter Strafe standen.
Dazu muss man nicht die Naturvölker bemühen. Rechtsbewusstsein ist immer dem Wandel der Zeit unterworfen. Niemand hat in der Frühzeit, der Antike, im Mittelalter und noch in der Neuzeit Sklaverei für Unrecht gehalten.
So müsste auch die Beihilfe zum Selbstmord neu definiert werden. Nach jetziger Auffassung ist diese Hilfeleistung strafbar, obwohl der Selbstmord selbst keine Straftat ist. Das ist juristische Schizophrenie

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