Wie geht man mit einem geistig behinderten Kind um, welches die Schadenfreude zum Lebenszweck hat ?
Vor einigen Jahren habe ich für den Lebenshilfe e.V. 90 bis 100% geistig behinderte Kinder betreut. Im Groben eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die mich voll ausgefüllt hat, aber mir auch bis heute sehr viel bedeutet. Eine Sache auf die ich bis heute keine befriedigende Antwort gefunden habe ist aber der Umgang mit einigen Besonderheiten.
Ein dicklicher Junge (die Kinder sind alle 10-13 Jahre alt gewesen) hat zu seiner größten Lebensfreude die Schadenfreude gemacht. Er hat den anderen Kindern das Essen weggenommen, hat gekratzt, gebissen, gespuckt. Je mehr er das Unverständnis der Betreuer geerntet hat, umso häufiger hat er das Problem wiederholt.
Auf der Rückfahrt saß er isoliert von den anderen mit 2 Betreuern auf der letzten Bank des Busses und hatte seine helle Freude daran die Scheiben solange zu bespucken bis man nichts mehr sehen konnte, oder bis er Pipi musste, oder bis er sich selbst gelangweilt hat und dann in nur vorübergehender Demut zum Erreichen eines neuen Zieles auf irgendeine Veränderung gedrängt hat.
Ich habe damals nicht angemessen auf dieses Verhalten reagiert und suche bis heute nach einer angemessenen Möglichkeit der Reaktion auf solches Verhalten. Ich bin dagegen so jemanden wegzusperren oder ähnliches, sondern suche nach einer adäquaten Möglichkeit pädagogisch darauf einzuwirken.
Im Elternhaushalt waren gebildete, strenge, wohlhabende Leute. Für mich schwierig einzuschätzen wie mit dem Jungen dort umgegangen wurde.
2009-02-23T13:20:52Z
@ Maeve: Wir mussten die anderen Kinder vor ihm schützen. Die Aufmerksamkeit war geboten.
2009-02-23T13:21:32Z
Der Zeitraum war etwas weniger als 2 Wochen.
2009-02-23T13:52:22Z
@ regnau: Kleinbus. Wir mussten ihn wegen Tätlichkeiten isolieren. Wenn die Kids vorn rausschauen wollen macht es wenig Sinn alle Kids nach hinten zu schicken und ihn vorn sitzen zu lassen.
2009-02-24T04:39:46Z
@ karla: ja, ausgebildete Pädagogen waren dabei, die auch zum regelmäßigen Umfeld dieser Gruppe gehörten. Die Kids gingen alle in dieselben Gruppen, laut den Pädagogen eine enorm wichtige Sache für geistig Behinderte, dass sie ein festes Umfeld haben. Entsprechend 'eingefahren' war natürlich auch der Umgang der anderen Kinder mit ihm.
2009-02-24T04:47:38Z
Achso, die Kritik ging von einer Person aus, die keine pädagogische Ausbildung hatte. Die Pädagogen haben sich mit Einschätzungen dazu zurückgehalten.
2009-02-24T04:48:02Z
Achso, die Kritik ging von einer Person aus, die keine pädagogische Ausbildung hatte. Die Pädagogen haben sich mit Einschätzungen dazu zurückgehalten.
2009-02-24T04:48:18Z
@ Amanita: Ich erkenne Gemeinsamkeiten in der Sache, aber die Bewusstseinsbildung für Recht und Unrecht ist, wie schon gesagt wurde, in 2 Wochen eine Art Unding, gerade bei eingeschränkter Lernfähigkeit die dann überdies schon von Negativverhalten ausgefüllt ist.
Das Ding ist... dass ich genau wie du gehandelt habe. Ich habe mit ihm genau das gemacht, was er mit den anderen gemacht hat. Ich hab eine Veränderung in seiner Wahrnehmung festgestellt und er hat mich daraufhin offenbar als höhere Authorität als die anderen Erzieher betrachtet, was an seinen Reaktionen ablesbar war.
Es ist nur zu Streitigkeiten unter den Erziehern gekommen, ob mein Verhalten richtig war. Eine Einschätzung hat bspw. nicht bewertet, dass ich das gleiche wie er getan hab, sondern dass die gewonnene Authorität keine Akzeptanz darstellt, sondern lediglich mit Angst verbunden ist, sprich auf ungerechtfertigter Gewalt basiere, was ich übersteigert und verletzend als Einschätzung empfand.
2009-02-24T04:50:14Z
Achso, die Kritik ging von einer Person aus, die keine pädagogische Ausbildung hatte. Die Pädagogen haben sich mit Einschätzungen dazu zurückgehalten.
Was du schilderst, lässt mich vermuten, dass der Junge geistig und Emotional auf dem Stand eines dreijährigen Jungen ist. Darum wäre es gut, sich zu überlegen, wie man mit einem Kind dieses Alters umgehen würde, um ihm das abzugewöhnen.
Was ihr gemacht habt, hat das Fehlverhalten verstärkt, weil ihr ihm die gewünschte Aufmerksamkeit geschenkt habt, sobald er sich daneben benommen hat. Mit anderen Worten, die Eltern machen das auch so und der Junge hat erfahren, das es besser ist negative Aufmerksamkeit zu bekommen als gar keine.
Man baut so ein Verhalten dadurch ab, dass er nur Aufmerksamkeit erhält, wenn er sich gut benimmt. Das setzt aber voraus, dass man bereit ist, sich auch wirklich ihm zuzuwenden, wenn er brav ist und etwas mit ihm zu unternehmen. Nichts großartiges. Im Sand schaufeln, mit ihm reden, scherzen - einfach nur Beachtung schenken. Das geht nicht immer, darum wird er zwischendurch auch immer wieder falsch handeln. Aber dann nur reagieren, indem der Junge von den anderen entfernt wird. Ihm nichts weiter sagen außer: "Du hast geschlagen, wir wollen dich jetzt erst mal nicht mehr sehen. Du bleibst jetzt da." Und ihn dann nich weiter beachten sondern mit den anderen Kindern beschäftigen.
Entfernt er sich aus seiner "Isolation", zurückschicken. Nach einer Weile holt man den Jungen wieder zurück, wenn er ruhig geblieben ist. Wieder mit ihm und auch den anderen beschäftigen. Und das jeden Tag, immer wieder.
Ich muss dazu sagen, man muss erstens sehr konsequent und geduldig sein und darf nie vergessen, das gute Verhalten mit Aufmerksamkeit zu belohnen. Und immer aufpassen, ihn räumlich isolieren, wenn er Mist baut. Ein "Strafstuhl" oder eine Ecke... wie auch immer es sich einrichten lässt, ohne ihn ganz zu entfernen. Er soll sehen, dass die anderen Kinder spielen, während er sich jetzt leider langweilt, damit er auch wirklich den Zusammenhang begreift, wenn man ihn wieder dazu holt.
Und es dauert längere Zeit, ein solches Verhalten bei dem Jungen zu ändern. Rechne mal mit ca drei bis vier Monaten. Vielleicht sogar noch länger, wenn die Eltern nicht mitziehen. Aber die Mühe lohnt sich.
Zusatz: Ich habe nicht behauptet, dass es einfach ist, aber es ist die einzige wirklich wirksame Methode. Nicht gar nicht beachten sondern solange beachten, bis er entfernt wurde von den anderen und nicht mit ihm spielen oder reden. Das funktioniert. Und schützt auch die anderen, denn er ist zu dem Zeitpunkt nicht mehr in ihrer Nähe.
Ich bin beeindruckt von (@) Maeve Dragons Antwort. Sie hat das "positiv Verstärken" sehr gut geschildert, das ich bei der Erziehung erfolgreich angewandt habe.
Dass Du innerhalb dieser kurzen Zeitspanne nichts richtig bewirken konntest, ist klar. Der Junge hat schon so lange nur negative Aufmerksamkeit erhalten, dass es für ihn inzwischen zum normalen Leben gehörte.
Die "Spiegelung", die (@) Amanita sehr gut schildert ist eine Möglichkeit, die notwendige Aufmerksamkeit des Kindes zu erhalten, wenn die Gewohnheiten schon allzu eingefahren sind.
Bei sehr aktiven Kindern mit diesem Problem gibt es noch die Möglichkeit des "fest haltens", d. h. das quicklebendige Kind fest in den Arm nehmen, bis es ruhig geworden ist. Die eigene Ruhe und Körperwärme beruhigt das Kind und gibt gleichzeitig Geborgenheit.
Ich wundere mich nur, wenn Du dort (ich denke mal ehrenamtlich) mit gearbeitet hast, warum die Pädagogen Dir nicht eine Hilfestellung gegeben haben, indem sie Dir ihre hoffentlich vorhandene planvolle Vorgehensweise erklärt haben.
Nachtrag: Indem ich zwei Namen hervor gehoben habe wollte ich die Beiträge der Anderen keinesfalls negieren.
Du KANNST in 2 Wochen nicht beurteilen, ob du "angemessen" reagiert hast, wie wäre angemessen denn gewesen?
Worin bestand die Behinderung? Wie alt ist/war der Junge? Mit 13 schon in der Pubertät, sodass auch bei "normalen" Kindern vieles, was heute richtig erscheint, morgen schon das größte Fettnapf sein kann. Ich halte es schonmal für in Ordnung, ihn hinten fahren zu lassen - ehrlich, meine Tochter ist auch kein Kind von Trairigkeit und fuhr innerhalb Berlins knapp 2 Jahre lang mit dem Schulbus. Auch hier gab es Beschwerden ("nur" ADHS), es wurde gegen die Sitze getreten (nicht aggressiv, nur zappelig, was die anderen Kinder aber ebenfalls störte), es wude angeschuckt, rübergegriffen...Die anderen Kinder müssen in jedem Fall vor Tätlichkeiten geschützt werden, auch wenn sie minder erscheinen, wie im Fall eines ADHS-Kindes. Man kann von Kindern immer nur ein gewisses Maß an Verständnis oder "Stillahlten" erwarten.
Kommt es sogar zu Tätlichkeiten, wie du sie schilderst, ist auch der beste Integrationsgedanke Beschränkungen unterworfen.
Wo könnte Pädagogik in so kurzem Zeitraum greifen? Die Frage ist auch: In welchem Maße kann sie es überhaupt?
Eine kurze Geschichte: Ich habe eine Zeit lang in einem Kinder- und Jugendfreizeitheim mit angeschlossenem Abenteuerspielplatz gearbeitet. Hier gab es einen Jungen (nicht behindert, wohlgemerkt, mir geht es nur um den Einfluss der Pädagogik von außen-außerhalb der Familie!), der seit seinem 4. Lebensjahr in Betreuung des Spielhausvereins stand (ab Miniclub). Der spätere Leiter des Freizeitheims hatte sich von klein an des Jungen angenommen, ihn sogar mit ca. 8 oder 9 Jahren mitgenommen in den Urlaub (zu den Eltern des Soz.päd.). Der Junge hat es geschafft, trotz über 10-jähriger intensiver Betreuung in der Freizeit (die wohlgemerkt ab einem gewissen Alter freiwillig stattfand, nämlich ab spätestens dem "Lückealter" und zusätzlicher jugendamtlicher Unterstützung, mit Punkt 16 Jahren seine erste Jugenduntersuchungshaft anzutreten ("Leute abziehen").
Mich hat das ziemlich desillousioniert muss ich sagen.
In dem von dir geschilderten Fall hielte ich tatsächlich Einzelablenkung für sinnvoll. Wirklich jede Fahrt mit Spielen zu einer attraktiven Sache zu machen für den Jungen und versuchen, dieses dann - auf lange Sicht (nach 4 Wochen?) auszudehen und ein weiteres Kind hinzu zu ziehen.
Gab es eigentlich ausgebildete Pädagogen zur Begleitung?
Im Bus habt ihr ihn zur Strafe auf der letzten Bank hinten im Bus sitzen lasssen?
Als ich noch zur Schule ging, war die letzte Bank in einem Bus (Vor allen Dingen in einem grossen Gelenkbus!) in dem man sass das beste, was einem passieren konnte. Wer da mit seinen Schulkollegen zusammen sitzen durfte, oder wer das Glück hatte den Platz gar ganz für sich alleine zu haben war praktisch der King!
Ich befürchte fast, dass der Schuss des Bestrafen wollens da leider nach hinten los gegangen ist und der dickliche geistig behinderte Junge dadurch vermutlich eher gelernt hat, dass er sich weiter so benehmen muss, um seinen Lieblingsplatz zu ergattern. Tja. Dumm gelaufen irgendwie denke ich.
Ja, machte aber noch weniger Sinn, wie Du jetzt vermutlich gesehen hast, weil ihr ihn unbewusst bestärkt habt. Da werdet ihr wohl wirklich wieder lange dran arbeiten müssen, um das wieder gerade zu biegen, wenn es sich wieder gerade biegen lässt. Na denn viel Spass noch... Vielleicht ein Tipp: Kinder lernen aus den Folgen von Richard Dreikurs lesen, könnte auch Aufschluss geben, wenn es darum geht, wie man mit solchen Situationen umgeht. Haben wir in der Erzieherschule durchgeackert und ich denke, wenn man etwas über Geschwisterkonstellationen und so weiter gelesen hat, dann dürfte es vielleicht ganz interessant sein, für Dich, wobei ich allerdings darauf verweisen möchte, dass man wirklich vor Anwendung halt eben auch immer entsprechende Überlegungen anstellen sollte, einfach um das "schiefgehen" der Zielsetzung unter Umständen auch rechtzeitig zu erkennen, wenn nötig.
Na ja.... so wie ich das einschätzen würde, hatte der Junge zwar ein Elternhaus bei dem es an materiellen Dingen nicht fehlte, aber ich würde vermuten das er isoliert aufgewachsen ist und es ihm somit an sozialen Kontakten fehlte, und er vielleicht auch durch die Eltern nicht die Liebe erfahren hat die jedes Kind braucht. Er wollte sozusagen nicht immer das Opfer sein, sondern auch verletzen können, wie er es im eigenen Elternhaus erfahren hat oder durch andere Kinder, ausserdem waren diese Ausraster auch Hilferufe, wie: "Hallo ich bin auch noch da, ich bin auch wichtig." Er hätte ein gesundes soziales Umfeld gebraucht, und Menschen die ihn versuchen zu verstehen und es mit Ihm ernst meinen, natürlich auch Freunde, aber dies ist dann eben der Teufelskreis.