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HAL9
Lv 4

Ist möglicherweise die Weltanschauung des einfachen Menschen die wahre Philosophie?

Aphorismen sind vielleicht der beste Weg, um philosophische Überzeugungen darzulegen.

Ein Philosoph, der darauf ausgeht, ein ganzes, kompliziertes System zu entwickeln, ist zuweilen unfreiwillig nicht mehr ganz aufrichtig.

Er wird der Sklave seines Systems, dessen Symmetrie zuliebe er oft bereit ist, die Wahrheit zu opfern.

Leo Nikolajewitsch Graf Tolstoi

8 Antworten

Bewertung
  • vor 9 Jahren
    Beste Antwort

    Nietzsche, neben Lichtenberg und Karl Kraus jemand, der den Aphorismus in der deutschen Sprache und Literatur zur Blüte gebracht hat, schreibt - was wohl auch als Selbstrechtfertigung verstanden werden darf - darüber folgendes: "Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit" ( vgl. Quelle 1). Er hielt sogar dafür, daß das Unlogische derart zum Leben gehört, daß es aufhört schön zu sein, sollte man alles Unlogische von ihm abziehen bzw. es in das knöchrige Korsett der Logik kleiden - von der Logik, wie sie uns seit Aristoteles überkommen ist, sprach Ernst Bloch einmal als von einem "Herbarium von Redeblumen oder auch nur, positivistisch, von Tautologien". Die Logik - von ihren antiken Anfängen bis zum heutigen Tag - ist ein quantitativ-funktionaler Zuordnungsvorschriftenkatalog von "Werten" (wahr, falsch, mittel oder 1, 0 , 0.5) auf Aussagesätze. Besonders hübsch wird es bei Paradoxien, die häufig aufgrund selbstbezüglicher Elemente in diesen Sätzen entstehen oder so, wie es in "Catch 22" nachzulesen ist.

    Nun unterstelle ich, daß mit "einfacher Mensch" nicht ein Naivling gemeint ist, sondern ein kritischer (jedoch nicht fundamentalistisch kritischer) Geist, welcher - hoffentlich nicht schmerzhaft fest - ans Leben geflochten ist. Es ergeben sich in der Weltanschauung sogar eines solchen Menschen mitunter Untiefen, vor denen er sich und ebenso der Philosoph hüten muß. Wer die wahre Philosophie zu haben glaubt, ja mehr noch: Wer davon überzeugt ist, im geistigen Besitz der wahren Philosophie zu stehen, muß - wenn er ein kritisch beobachtender Denker ist - erkennen und anerkennen, daß eine Überzeugung eine noch viel gefährlichere Feindin der Wahrheit ist, als es die Lüge je zu werden sich erhoffen kann.

    Unser Menschenbild, dem wir stets unterlegen bleiben, das wir aber algorithmisch herunterzuleiern verstehen, weil es uns, seitdem wir denken können, eingetrichtert worden ist. halten wir überzeugterweise für wahr, nicht weil es so ist, sondern weil es so sein soll. und werden nicht müde, mit dem Finger auf die zu zeigen, bei denen, nach unserem Maßstab bemessen, "unmenschliche" Verhältnisse herrschen.

    Jedwedes System ist (wie Niklas Luhmann wiederholt an verschiedenen "Systemen" der Gesellschaft gezeigt hat) darauf aus, sich selbst zu erhalten und eventuelle Störungen oder systemfremde Elemente so umzuwandeln, daß sie systemimmanent werden - wie jede Auster einen in sie eingedrungenen Fremdkörper in eine Perle verwandelt.

    Zwar weiß ich keineswegs, was wahre Philosophie ist - aber Philosophie entsteht durch das die Menschen verbindende Gespräch über bestimmte Themen (keine Angst: den Bereich der transzendentalen Kommunikationstheorie beabsichtige ich nicht zu betreten), und zwar auch über Weltanschauungen - "über" in doppeltem Sinne, auch "über ... hinweg". Denn zum Verständnis - hier auch in doppeltem Sinne - bedarf es zuweilen nur Eines Ohres, Eines Auges.

    Mit Nietzsche habe ich begonnen, und um systematisch zirkulär, philosophisch mythisch gegen Ende an den Anfang zurückzukehren, lasse ich ihn erneut sprechen: "Der Eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der Andere Einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch" (2).

    Quelle(n): (1) Nietzsche, F.: Götzen-Dämmerung. Sprüche und Pfeile § 26. (2) ders.: Jenseits von Gut und Böse. § 136.
  • Wilma
    Lv 4
    vor 9 Jahren

    Si tacuisses, philosophus mansisses!

  • 🌛
    Lv 5
    vor 9 Jahren

    Sehr gute Frage!

    Dem einfachen Menschen fehlt meist die Zeit zum Philosophieren, weil er meist am Arbeiten ist, oder den Kopf voll Sorgen hat.

    So ist gewissermassen jeder von uns, mehr oder weniger, Sklave seines Systems - jeder auf seine Weise.

    Die Wahrheit, die Wahrheit stellt für jeden etwas anderes dar ...

    Ein Philosoph, der darauf ausgeht, ein ganzes, kompliziertes System zu entwickeln, ist zuweilen unfreiwillig nicht mehr ganz aufrichtig. - Philosophie wird nie ein vollendetet Werk sein - sondern eine ewige Baustelle! Davon lebt Philosophie und das macht Philosophie erst aus - um mal aufrichtig sein zu wollen ...

  • Nein.

    Es ist eine aufrichtige Überzeugung.

    Und Aphorismen bilden simplifizierend spontan einleuchtende Überzeugungen ab.

    Aber Philsosophie ist die systematische Auseinandersetzung und das Hinterfragen von Prämissen. Und dabei ergeben sich nunmal Probleme, die auf den ersten Blick verborgen bleiben.

    Klar gibt es Philosophen, die zugunsten ihrer Eingangsthese rigoros jede konkurrierende Meinung und jede dagegensprechende Argumentation ablehnen.

    Aber in der Physik (geozentrisches Weltbild), in der Medizin, der Soziologie, der Biologie und auch der Philosophie hat sich immer wieder gezeigt, dass einfache Anschauungen überzeugend wirken mögen, aber dennoch in vielen Fällen nicht richtig sind.

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  • mackie
    Lv 6
    vor 9 Jahren

    Möglicherweise ja. Ich habe mich sehr lange dagegen gewehrt, mir schnell eine Meinung von etwas zu bilden, sondern habe auch irgendwelche Eventualitäten berücksichtigt. Nach dem Motto: es könnte auch anders gewesen sein. Fakt ist aber, meistens hatten die Leute Recht, die das (mehr oder weniger) Offensichtliche beurteilt haben. Ich habe daraus gelernt, keine unnötige Zeit und Grübelei zu verschwenden.

  • vor 9 Jahren

    ja, natürlich

  • vor 9 Jahren

    als zen-schüler lernst du, an jedem neuen tag von null auf zu beginnen. als hätte du noch nie irgendwas kapiert. was dann übrigbleibt, ist intuitives wissen, dessen natur es ist, nicht belastend, nicht kompliziert, nicht widersprüchlich zu sein. und das auch immer 100% perfekt funktioniert.

    der preis dafür ist, die eitelkeit loszulassen, zu denken, "ich habe dies und das kapiert"......

    ich habe nichts kapiert!

    aber dennoch ist ein lebendiges wissen in mir, das mich von einem sieg zum nächsten trägt. (über die illusion....) weil ich für die wahrheit lebe, arbeite, kämpfe, alle meine kräfte dafür zur verfügung stelle, dass sie, meine allerliebste, durch mich arbeiten kann. weil ich zur not für sie sterben werde. und auch schon ein paar mal gestorben bin.

    auf diese weise bist du an jeden tag innerlich frisch und offen für das neue und dennoch geborgen in weisheit.

    Quelle(n): om
  • Anonym
    vor 9 Jahren

    jeders eigene philosophie ist für ihm der wahre philosophie (außer dass er glaubt selber, dass er keine wahre philosphie hat, in welchem fall hat er doch, weil seine philosophie dass er keine wahre philosophie hat, ist doch wahr)

    die frage ist ob es "sinnvoll" ist, dass wir unser eigene persönliche philosophien mit den von anderen vergleichen. persönlich ich mag sehr gern die philosophien von andern zuhören, und vielleicht teilweise annehmen, weil DAS ist meine persönliche wahre philosophie.

    und klar, es gibt leute, die überhaupt nicht an philosophie "bewusst" denken, und deren philosophie ist auch die wahre. Und letztlich darf ich in meine persönliche wahre philosophie so denken, dass der philosophie von "einfachen menschen" auch das wahre philosophie ist. aber letztendlich entscheide ICH, was für mich wahr ist (auch wenn ich lass jemand für mich das enstcheiden)

    Quelle(n): es gibt keine antwörte, nur fragen
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