Demenz ! Wie verhalte ich mich richtig?

Meine Familie und ich wohnen in einem kleinen Reihenhaus und teilen die andere hälfte mit einem netten,älteren Ehepaar.Wir hatten stets ein super Verhältniss.
Vor einigen Wochen verstarb ihr Ehemann und die Frau blieb mit ihrem Sohn,der aufgrund eines Schlaganfalls wieder zu Hause wohnte,allein zurück.
Vor ca 5 Wochen klingelte die Polizei frühst um 6 Uhr bei mir an der Tür.
Mein Mann war bereits aus dem Haus,unterwegs zur Arbeit.
Es wurde Ruhestörung gemeldet und die Kinder würden Nachts auf der Strasse spielen.
Ich erklärte,das ich soeben aus dem Bett geklingelt wurde und die Kinder friedlich in ihren Betten schlafen würden.
Erst dachte ich jemand wolle uns einen Streich spielen aber es stellte sich heraus,das unsere Nachbarin selbst angerufen hat.
Angeblich hätten wir voll die wilde Party geschmissen (Es war Donnerstag morgens).
Da merkten wir zum ersten Mal,das etwas nicht in Ordnung ist.
Seitdem hat sie schon vier mal vor unserer Türe gestanden und sich beschwert.Die ersten beiden Male habe ich versucht sie mit logik zu überzeugen.
Ich habe sie ins Haus gebeten um ihr zu zeigen,das alles ruhig ist.
Trotzdem kam ich nicht ans sie ran.....
Sie schaute mich nur mit traurigen Augen an,die sagten.........." Mädchen,willst du mich eigentlich für dumm verkaufen?Ich bin zwar alt aber immer noch ganz richtig im Kopf!"
Und dann ist sie gegangen.....
Es ist sehr schwer diese Veränderung mitzuerleben,wenn man vorher ein so tolles Verhältniss hatte.
Vor ca einer Stunde,gegen Mitternacht klopfte es an der Tür.
Es war meine Nachbarin.
Sie sagte,sie würde mich und meine Familie wirklich sehr gerne haben aber in all den Jahren in denen sie nun schon in dieser Strasse lebt,hatte sie noch nie so viel Ärger wie mit uns :(
Mein Mann würde die ganze Zeit ihren Mann anrufen,der wohlbemerkt verstorben ist und würde sich über den zu lauten Fernsehr beschweren.
Wir haben uns im Leben noch nie irgendwo beschwert.
Ich stand da gerade völlig neben mir.Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte...
Sie war ja anscheinend fest davon überzeugt,das ihr Mann noch lebte.
Ich kämpfte mit mir.Sag ich ihr jetzt,das ihr Mann seit Wochen nicht mehr lebt und mein Mann gerade auswärts auf Montage arbeitet???
Ich hatte den Drang ihr die Wahrheit zu sagen,um die Situation richtig stellen zu können.
Ich nahm sie in den Arm,drückte sie und sagte,ich wäre gerade sehr unsicher wie ich mich verhalten soll.
Sie unterbrach mich und meinte,ich müsse nicht unsicher sein,ich wäre ein tolles Kindchen und sie hätte mich in ihr Herz geschlossen.
Ich blickte auf und schaute in ihre Augen......da entschied ich nix zu sagen.
Ich drückte sie nochmal,entschuldigte mich für die Ruhestörung und sie ging nach Hause.
Ich war sehr aufgewühlt und mir kamen die Tränen.
Fühlte mich der Situation nicht gewachsen,Überforderung.
Habe ich richtig reagiert oder hätte ich sie quasi Wachrütteln sollen?
Hätte ich ihr behutsam klarmachen sollen,das sie sich gewisse Dinge einbildet?
Mein Bauchgefühl sagte mir,ich sollte es dabei belassen und sie in dem glauben lassen,ihr Mann würde noch Leben.
Aber war das Richtig?
Ich wurde bis dato noch nie mit dem Thema Demenz konfrontiert und mein Wissen ist eher oberflächlich.
Werde gleich auch nochmal zu dem Thema Googeln und mich etwas belesen.
Mich jedoch interessiert ,ob ihr persönliche Erfahrungen mit dem Thema Demenz gemacht habt und wie ihr damit umgegangen seit.
Um die Nachbarin kümmert sich übrigens der Sohn,der mit im Haushalt lebt und zwei Töchter die mehrmals die Woche vorbeischauen.
Werde das Thema unbedingt mit dem Sohn und den Töchtern besprechen müssen.
Vlt auch nochmal Hilfe anbieten,für die Zeit wo ihr Sohn nicht zu Hause ist,damit sie nicht zu lange allein bleibt.
Freue mich über eure Antworten und entschuldige mich für den mega langen Text.
;)
Liebe Grüsse,
Bina

2013-10-21T17:20:21Z

Danke für die bisher gegebenen Antworten <3
Rick: Danke für deine Offenheit <3

2013-10-21T18:24:32Z

Meine Frage spontan hier reinzustellen,war eine wirklich gute Idee.
Eure Antworten haben mich ehrlich berrührt und am liebsten würde ich grad hunderte
"Daumen hoch" verteilen :)
*danke* <3

2013-10-21T18:31:30Z

*Eine wirkliche Ruhestörung gibt es nicht.Wir wohnen in einer sehr ruhigen Strasse.
Sie bildet sich den Lärm jedesmal ein.

2013-10-22T16:12:50Z

Ich werde mich jetzt für eine Beste Antwort entscheiden und mir grauts schon davor ;)
Ihr habt euch wirklich Mühe gegeben und sehr detailliert geschildert.
Ich konnte mir aus jeder Antwort etwas wichtiges ziehen.
Schön das es solche Menschen wie euch auf diesem Forum gibt<3

Ilf2013-10-21T17:52:49Z

Beste Antwort

Ok ich spreche hier aus beruflicher Erfahrung:
Demenz ist nicht immer gleich Demenz, d.h. oft kann eine andere Krankheit (z.b. Depression (fachchinesisch depressive Pseudodemenz) oder eine Schitzophrenie dahinter stecken.
Außerdem gibt es an die 250 verschiedene Krankheiten die zu einer Demenz führen können.(Demenz ist immer nur das Endstadium einer Krankheit) darunter sind regenerative (heilbare) als auch deregnerative (nich Heilbare) erkrankungen. Eine Demenz muss nicht immer unhelbar oder nur "berg ab gehen" sein. z.B. die Demenz aufgrund eines Schlaganfalls (Multiinfakrtdemenz) ist in der Regel ein Zustand der gleichbleiben ist, während versch. Demenzen die durch Vergiftungen entstehen oft heilbar sind bzw sich bessern.


Zu deinem Verhalten:
Du hast dich absolut richtig Verhalten. Zuerst hast du versucht sie anhand von Tatsachen in die Realität zurückzuholen, dies ist leider fehlgeschlagen. Dannach hast du versucht die Sichtweise der "Realität" der Nachbarin anzunehmen und hast sie scheinbar auch so beruhigt, du hast also deeskalierend gewirkt.
So wie du das hier schilderst hast du dich genauso verhalten wie es Altenpflegekräfte in der Ausbildung lernen.

Ich würde auch mit den Kindern sprechen und ihnen auch die Beobachtungen schildern.

@Rick: Deine Erlebnise sind echt furchbar, grade die Kinder von Betroffenen wollen es oft nicht wahrhaben dass die Eltern dement sind und wenn es dann soweit ist werden sie häufig von der Realität erschlagen.... Und es ist sehr Anstrengend grade für im Haus lebende Angehörige den Dementen zu pflegen (auch wegen div Symptomen wie kein Tag-Nachtrhytmus, Wahnvorstellungen,...) Aber wie gesagt auch hier gilt Demenz ist nicht gleich Demenz, es gibt Demente die können ganz gut alleine zu Hause leben und kommen mit wenig Hilfe zurecht.

Rotbuche2013-10-21T22:18:14Z

Ich kann Dir leider nur einen Buchtipp geben. Meine Mutter hat mir das Buch empfohlen:

"Der alte König in seinem Exil" von Arno Geiger.

Ich habe die Kurzbeischreibung des Buches bei Amazon einmal hier herein kopiert:
"Arno Geiger hat ein äußerst berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität und Klugheit beeindruckt. Im Alltag ist der Vater oft hellwach, aber seine Vergangenheit, sein Haus und seine Kinder hat er vergessen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. Er entdeckt, dass es auch mit der Krankheit bei seinem Vater noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Ein lebendiges, oft komisches Buch, das von einem Leben erzählt, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden."

Ulli2013-10-21T18:11:12Z

Alles absolut richtig gemacht und ich freue mich von Herzen für die Nachbarin, dass sie dich nebenan hat.
Sobald du mit den Kindern der Dame redest, sprich bitte auch die Hilfen seitens der Pflegekasse bei Demenz an. Selbst wenn der medizinische Dienst keine Stufe anerkennt, es gibt s. g. Sachleistungen bei dieser Erkrankung. Das ist eine Summe die entweder 100 oder 200 Euro pro Monat beträgt und die nur durch Fachkräfte abgerechnet werden kann. Ich schreibe dir zu diesem leidlichen Thema Geld, weil die Antworter vor mir schon alles gesagt haben, was auch mir gerade die Tränen in die Augen treibt. Caritas, Verbraucherzentrale z. B. informieren über dieses Thema und es ist wirklich wichtig jetzt vorzusorgen, damit die Dame in ihrer Umgebung bleiben kann und darf. Die Gefahr ist groß, dass sie bald rund um die Uhr jemanden an ihrer Seite braucht und das ist von ein oder zwei Personen weder körperlich, seelisch noch finanziell zu leisten. Und lasst sie alles tun, was sie noch tun kann und wenn sie es 5 x macht. Jede noch so kleine Aktivität erhält Fähigkeiten. Wahrscheinlich wird sie in die Vergangenheit verfallen und die Phase der "Ruhestörung" vergessen. Bei allen in unserer Familie, die an dieser Krankheit gelitten haben, kamen und gingen bestimmte Wahrnehmungen. Du bist eine tolle Frau und bitte vertraue auch weiterhin deinem Bauch. Backe, koche, gärtnere mit ihr, schau einfach, was sie sonst gerne getan hat. Ich bin sehr, sehr froh, dass es Menschen wie dich noch gibt und wünsche allen Beteiligten eine neue, aber durchaus gewinnbringende und den Umständen entsprechend zufriedene Zukunft. Menschen wie dich im Umfeld zu haben ist auch für die Angehörigen Gold wert und erhöht die Chancen der Dame, nicht abgeschoben zu werden ungemein. Danke!
Und ja, die Dame hat Angst. Sie spürt sicher viel von ihrer eigenen Veränderung. Zuhören, beruhigen, vorsichtig von unangenehmen auf angenehme Themen lenken. Und lasst sie machen.

Hier noch ein hilfreicher Link: http://www.miteinander-leben.de/haeusliche_pflege/ratgeber_demenz/umgang_mit_demenzkranken.html
Die Broschüre des Gesundheitsministeriums hatten wir auch und scheinbar sind auch die Leistungen der Kassen aufgelistet. Angehörige sind bei solchen Dingen oft betriebsblind und merken erst sehr spät, dass sie sich manchen Kummer hätten ersparen können.

Rick T.C2013-10-21T17:08:06Z

Demenz ist übel. Mein Vater ist dran verstorben. Ging gott sei Dank sehr schnell innerhalb einiger monate im Heim. Davor lag eine schwere Zeit. Mein Vater hat nachts einbrecher gesehen und rief die Polizei. Dann bauten welche nachts den Gartenzaun ab. Dann sollte ich bei meinen eltern nachts eingestiegen sein und die Polizei stand nachts bei mir vor der tür. Hat sehr große Eidechsen die wand entlanglaufen sehen......Schwäne auf dem dach sitzen sehen und und........ich habe meinen Dad leiden sehen,hab ihn sogar gefüttert im Heim(schreibe jetzt unter Tränen)....ich konnte ihn dann nicht mehr so oft besuchen weil ich fertig war,mach mir vorwürfe deswegen,heute noch....../du solltest mit dem sohn reden ob nicht jemand anderes als unterstützung im Haushalt leben könnte(Fachkraft,Freund ect). Diese Krankheit wird leider schlimmer werden und ist dann nicht mehr zu bändigen,grob ausgedrückt. So leid es mir tut zu sagen aber ein Heim wird früher oder später das beste sein.
Nachtrag: Vor dem Heimaufenthalt waren Krankenhausaufenthalte wegen nierenversagen nötig. Lungenentzündung und noch aufkommende Parkinson dazu. ich schreibe das hinzu weil evt. User mich als "Abschieber" oder ähnlichem beschimpfen könnten.

Aldarion2013-10-21T17:05:58Z

Hey BgG,

erlaube die Frage, ob das "Wachrütteln" tatsächlich einen dauerhaften Effekt erreichen kann in dieser Situation? Wahrscheinlich nicht.

Verhalte Dich menschlich; ich denke, Du hast Dich korrekt verhalten; sicherlich ist es nicht leicht, die beschriebenen Veränderungen zu beobachten, aber erinnere Dich an die schönen Zeiten, versuche die alte Dame möglichst offen und normal zu behandeln und ignoriere die "Marotten", denn wie auch immer Du Dich verhälst, es wird - außer der Senkung Deiner Moral - nichts ändern (können), wenn du auf die Dir unverständlichen Verhaltensformen eingingest.

Dennoch, gute N8, auch Deiner Nachbarin, auch wenn wir davon ausgehen könnten, dass sie denkt es sei Tag.

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