Schöpfungsgeschichte der Bibel ist ein Loblied? Religion Grund von Gewalt?

Hey
ich (seit kurzem Atheist) setze mich kritisch mit unserem Religionsunterricht auseinander, in den ich leider immer noch geh. Natürlich sehe ich jetzt alles aus einer anderen, kritischeren Sicht. Meine Fragen:
1. Uns wurde gesagt, dass die Schöpfungsgeschichte ein Loblied und keine historische Nacherzählung sei. Gibt es Hinweise darauf, dass es sich wirklich um ein Lied/Gedicht handelt (Versmaß, Reime etc)? Oder ist das ist nur ein Erklärungsversuch der Theologen, die Bibel immer noch als "korrekt" und "Wort Gottes" darzustellen? Also damit sie nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht? Meine Vermutung ist letztere. Denn schon andere, heutzutage moralisch fragwürdige Bibelstellen werden als Allegorien, Methaphern oder "innere Wahrheit" (d.h. der Text vermittelt nur eine Weißheit, kein Ereigniss, also wie Gleichnisse) hingestellt. Ich habe das Gefühl, dass Bibelstellen, die nicht mehr in unsere heutige Gesellschaft passen, einfach in ihrer Aussage verändert werden. Aber ich bin offen für andere Aussagen.

2. Wir haben gelernt, dass Religion nur ein kleiner Grund für Gewalt, Kriege und Hass sei. Doch wo auch immer ich auf der Welt hinschau oder im Geschichtsbuch schau, ist Religion ein Hauptgrund für Gewalt. Hat unsere Lehrerin Recht und ist Religion nur eine Ausrede von Attentätern und kein wirklicher Grund?

Ich weiß, dass die Bibel ganz sicher nicht von Gott geschrieben wurde (es gibt ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, keine Debatte bitte :D ), ich will nur wissen, ob diese Ausreden der Christen gerechtfertigt sind. Wenn nein, finde ich es ziemlich perfide, uns sowas im Unterricht reinzuhämmern, damit wir nicht an Gott zweifeln.

2012-02-21T15:02:34Z

Ja, ich habe die Bücher der Atheisten (God is not Good und The Goddelusion etc) gelesen :D
Ich weiß aber nicht recht, ob ich denen beiden im Thema Gewalt 100% glauben soll, denn die beiden scheinen manchmal etwas zu übertreiben. und sie rechnen Religion überhaupt nichts Gutes zu, obwohl es positive Aspekte von Religion gibt.

Musiker2012-02-21T16:03:32Z

Beste Antwort

1. Die Schöpfung

Es gibt in der Bibel zwei Schöpfungsgeschichten. Beide sind in der Tat keine "historischen Nacherzählungen," sondern Glaubensbekenntnisse. Keine von beiden wollen erklären, wie die Welt entstanden sei, diese Frage interessiert sie, streng genommen, überhaupt nicht, sondern sie wollen die Welt deuten. Beide Schöpfungsgeschichten erzählen übrigens von keiner Schöpfung "aus dem Nichts," sondern in beiden ist vor der Schöpfung schon etwas da: in 1.Mose 1 endlose Wassermassen (Urflut), in 1.Mose 2 Wüste.

1.Mose 1 ist von gelehrten israelitischen Priestern im babylonischen Exil (6.Jahrhundert v.Chr.) geschrieben worden. Ein "Lied" im heutigen lyrischen Sinne ist die Erzählung sicherlich nicht, aber sie hat durchaus hymnischen Charakter. Die Babylonier hatten die Reste des judäischen Staates vernichtet und die Oberschicht ins Exil nach Babylon verschleppt. Das war für die Israeliten nicht nur eine politische Katastrophe, sondern es erschütterte auch die Grundfesten ihres Glaubens. Denn nach damaliger Auffassung hatten, wenn ein Volk oder ein Reich unterging, auch seine Götter versagt und sich als zu schwach oder gar nicht existent erwiesen. Die Frage, die die Verfasser von 1.Mose 1 bewegte, war also überhaupt nicht: "Wie ist die Welt entstanden?", sondern: "Sind die babylonischen Götter stärker als der Gott Israels?"

Die Schöpfungsgeschichte, die sie schrieben, war eine Erwiderung auf den babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elisch, in dem der babylonische Gott Marduk die Welt erschafft. Die Babylonier glaubten an viele Götter, die Israeliten nur an einen. Die babylonischen Götter waren streitsüchtig, konkurrierten miteinander und brachten einander sogar um (waren also sterblich!), während der Gott der Bibel die Welt wie ein weiser Baumeister souverän und in aller majestätischen Ruhe nach einem großartigen Plan erschafft. Die Gestirne waren für die Babylonier Götter, für die Israeliten tote Himmelskörper ("Leuchten"). Und die Menschen werden in "Enuma Elisch" als "Sklaven der Götter," in 1.Mose 1,27 aber als "Ebenbild Gottes" bezeichnet.

Das sind die entscheidenden Aussagen, auf die es den Verfassern von 1.Mose 1 ankam. Die Vorstellungen darüber, wie die Welt aufgebaut sei (flache Scheibe, Himmelsgewölbe darüber, Wasser darum herum) und in welcher Reihenfolge alles entstanden sei, entsprach dem damaligen Weltbild, das auch alle anderen Völker des alten Orient hatten. Mit einer Ausnahme: daß die Gestirne erst nach Tag und Nacht, dem Himmelsgewölbe, Land und Meer und nach den Pflanzen erschaffen werden, ist auch für die damalige Zeit absolut ungewöhnlich. Die Aussage, die dahinter steht, ist symbolischer Natur: die Gestirne werden so weit nach hinten gerückt, um sie in ihrer Bedeutung zu degradieren (für die heidnischen Völker waren sie, wie gesagt, Götter).

Man kann, ja: man MUSS davon ausgehen, daß die Verfasser von 1.Mose 1, wenn sie heute lebten, ihrem Schöpfungs-Hymnus die HEUTIGEN wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entstehung der Welt und nicht die damaligen zugrunde gelegt hätten.

Auch die Gliederung der Schöpfung in 7 Tage, d.h. in 6 Arbeitstage und einen Ruhetag (Sabbath) hat symbolische Bedeutung: ihre Aussage lautet nicht: "Die Welt ist in 6 Tagen entstanden," sondern: "Bereits in der Schöpfung ist der Sabbath von Gott als Ruhetag angelegt." Das Sieben-Tage-Schema ist übrigens eine spätere Bearbeitung: ursprünglich war die Schöpfungsgeschichte in acht Schöpfungswerke gegliedert (die Zahl "Acht" symbolisiert Harmonie und Vollkommenheit). Bei ihrer Verteilung auf sechs "Arbeitstage" sind daher auf zwei Tage je zwei Schöpfungswerke entfallen (am 3.Tag: a. Land und Meer, b. Pflanzen; am 6.Tag: a. Landtiere, b. Menschen).

Auch die Schöpfungsgeschichte in 1.Mose 2 (geschrieben im 9.Jahrhundert v.Chr. in Israel) ist voller symbolischer Aussagen. Auch sie ist kein historischer oder naturwissenschaftlicher Bericht, sondern ihrer literarischen Gattung nach ein Mythos. Ein Mythos erzählt anhand erfundener Personen von grundlegenden Menschheitserfahrungen und religiösen Weltdeutungen.

Die Schöpfungsgeschichte in 1.Mose 2 will als Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer und Erhalter des Lebens verstanden werden, der es gut mit den Menschen meint und ihnen auch die Grenzen, die er ihnen setzt (dafür steht symbolisch der Baum in der Mitte des Gartens, von dem die Menschen nicht essen dürfen), zu ihrem eigenen Besten setzt. Adam und Eva sind nicht als "historische" Personen, sondern als symbolische Personifizierungen der Menschheit gemeint. Auch ihre Namen sind symbolischer Natur: das hebräische Wort "Adam" heißt "Mensch" (wörtlich: "Erdling"), "Eva" bedeutet: "die Leben Gebärende."

Symbolisch ist auch gemeint, daß Eva aus der Rippe Adams geschaffen wird: in einer Zeit, in der die Frauen als Besitz ihrer Männer galten, wird hier den Männern gesagt: "Aus Deiner Rippe, Fleisch von Deinem Fleisch, also nicht Dein Besitz, sondern gleichen Wesens und gleicher Würde wie Du."

Rive Gauche2012-02-22T09:47:19Z

"Musiker" und "Ente " haben recht, aber das Problem ist ein Anderes. "Die Bibel" gliedert sich in 2 Teile. Das AT (Thora) wurde begonnen um 800vCh. Das NT um 50 nCh (Ur Markus Evangelium).
Im AT gibt es viele Dinge, die historisch überprüfbar sind, im NT gibt es , trotz akribischer römischer Geschichtsschreibung, auf einen Rabbiner Namens Jesus keine Quellen, während ein "Josua" (heute Johannes der Täufer) durchaus erwähnt wurde.
Ich bin kein Atheist, aber ich brauche auch keine Theologen, die mir (432 nCh oder 642 nCh mir eine selektive Schrift im Sinne des heutig gültigen NTs vorlegen, die damals von 12 Menschen selektiert wurde (Lyon und Alexandria).
Was den Christen in Byzanz nicht passte, daher die 1. Kirchenspaltung.
Langer Rede kurzer Sinn: Religionen werden von Menschen zur Unterdrückung von Menschen gemacht, was aber einen Gott nicht ausschließt, nur unwahrscheinlich macht.
Es ist interessant sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen , auch mit der Geschichte der (monotheistischen)Religionen, denn dann erkennt man sehr Vieles, erst dann ist man "Atheist" oder "Theist", ohne Bildung ist Alles nur Geglaube! Oder will man Glauben ?!

Ente2012-02-22T01:22:04Z

Es ist richtig, was du schreibst, dass es sich bei der Schöpfungsgeschichte um "Dichtkunst" handelt, auch Allegorien kommen darin vor. Die Bibel ist gegliedert in einen "inneren" und einen "äußeren" Sinn. Das ist sprachlich bedingt und war nicht übersetzbar.

Von diesem zweifachen Sinn sprachen Jahrhunderte nur Seher. Durch Kriege wurde keine richtige Basis geschaffen. Man hielt sich an die eigentlich ungenügende Übersetzung, betrachtete sie als Original, als Gottes Wort. Die Religion veränderte sich. Mystik und Gottesvorstellungen spielten nun eine Rolle und nicht mehr die Philosophie und die Liebeslehren.

Der Text ist in der alten Sprache erhalten worden. Er sieht gleich aus, wird aber anders empfunden, wenn man diese Sprache kennt. Zum Beispiel gibt das Wort
ערב Abend, angenehm, mischen, eben
Je nach Aussprache entstand in diesem Fall ein vierdimensionaler Text. Es ward Abend, es ward Morgen war nicht ein Lückenbüßer, damit es gut klingt, sondern es wurde überlegt, was gemischt auftritt (zu untersuchen wäre) was angenehm ist, was besucht werden soll (andere Bedeutung für Morgen) wie alles zu entwickeln sei.

Die äußere Hülle ist eine Überlieferung der Antike, bei der uralte Erzählungen einfließen. Die berichten, dass Himmel und Erde einmal eine Einheit bildeten, und aus Erde Geschöpfe kamen. Innerlich ist es eine kluge Anleitung für qualitätsbewusstes Schaffen. Der Text ist gleich dem, den du als Schöpfungsbericht kennst, wobei es nicht zwei gegensätzliche gibt. Der andere Teil nimmt sich eines anderen Lehrabschnittes an. Es geht über anpassen und weiterentwickeln. In hebräischer Sprache ist die "Auslegung" in mehrere Dimensionen möglich. Man hätte diese Textforschung schon viel früher angehen sollen. Es wird daran gearbeitet, weil die gepredigten Vorstellungen im Laufe der Zeit als absurd empfunden wurden. Die Übersetzung konnte bisher nur linear arbeiten. Es kam zu ganz anderen Vorstellungen damit.


Punkt 2: Deine Lehrerin hat die Situation von Religion sehr gut eingeschätzt. Die wahren Auslöser für Kriege sind immer Ungerechtigkeiten. Mit sattem Bauch kämpft keiner wegen Religion, es sei denn sie bringt Leid. In der Bibel wäre nur die gesammelte Erfahrung der Menschen drin und alle guten Vorsätze, die nie so gut verwirklicht worden sind ...

Ohne Kenntnis der Erfahrung entstand Unrecht. Die Begründungen lieferte die Bibel.
Die andere Seite lehrt die gerechten Vorstellungen. Daraus kommt Wohlstand, damit vermutlich auch keine Kriege mehr, weil es gemeinsame Freude statt Ärger gibt.

Tifi2012-02-21T14:46:21Z

1. Es existieren zur Schöpfung des Menschen 2 Versionen im selben Buch - Genesis.
( 7 Tage /Mensch aus Lehm erschaffen)
Das mit den 7 Tagen nicht zu ernst nehmen, 1000 Jahre sind vor Gott wie ein Tag und die wenigsten Menschen konnten damals bis 1000 zählen...

Diese Geschichten weisen Parallelen zum Gilgamesch Epos auf. Versuch mal jemanden vor 5000 Jahren Einsteins Relativitätstheorie zu erklären ?
Die Schöpfungsgeschichten sind sicherlich kurze und verständliche Erklärungen, die bis heute gelten, auch in der Evolutionstherie - die Erde war wüst und leer, dann entwickelten sich in chronologischer Reihenfolge erst die Pflanzen, dann die Tiere...

2. Stimme deiner Lehrerin zu, Religion wird zum "Klassenkampf von oben " ständig missbraucht, das hat wenig mit dem "lieben Gott" zu tun.

Karl2012-02-21T14:41:09Z

bravo, du hast alles richtig erkannt

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