Nachtrag zum Fall Gäfgen: Hätte der Polizeibeamte überhaupt eine Chance gehabt, "richtig" zu handeln?
Es gab ja bereits einige Fragen zu diesem Thema.
Von einigen Usern ist immer wieder zu lesen, das auch die Würde eines Verbrechers zu schützen ist, ferner sei jegliche Emotion aus dieser Angelegenheit herauszuhalten.
Dabei frage ich mich allerdings: Ist "Würde" nicht selbst etwas Emotionales? Man kann sie weder wiegen noch messen noch sonst irgendwie faktisch greifbar machen. Jeder hat eine andere Vorstellung davon und manch einer fühlt sich etwa bereits bei der leisesten Kritik zutiefst in seiner Würde verletzt, ein anderer zuckt selbst bei den wüstesten Beschimpfungen oder sogar bei einem tätlichen Angriff nur mit den Schultern.
Manchmal werden Vergleiche mit einer Willkürjustiz wie im dritten Reich gezogen.
Abgesehen davon, das gerade die völlig emotionslosen, "sachlichen" Täter (etwa Eichmann und Hess) die größten Massenmorde (aus ihrer Sicht befolgten sie lediglich Befehle und jeder Gedanke an die Leiden der Opfer wurde als "Gefühlsduselei" abgetan) zu verüben imstande waren - lag doch hier nicht im Geringsten Willkür vor.
Die einzige willkürliche Handlung begang der Mörder Gäfgen selbst und zwang so die vernehmende Polizei in eine Notsituation. DIese mussten glauben, das entführte Kind ringt mit dem Erstickungstod, während der Täter sich weigerte den Aufenthaltsort zu verraten.
Nette Worte oder ein Apell an das Leiden des Kindes brachten nichts, denn der Täter zeigt ja bis heute keine Reue und gesteht offenbar ausser sich selbst keinem anderen Menschen irgendeine Leidensfähigkeit zu.
Was also wäre eine rechtlich, moralisch und ethisch "korrekte" Verhaltensweise gewesen?
Das das Kind bereits tot ist konnte niemand wissen, angenommen es hätte auf diese Weise gerettet werden können, wäre die Folterdrohung ebenso hochgekocht?
Was wäre geschehen, wenn das Opfer erstickt wäre, WEIL der Polizeibeamte die Würde des Täters schützt und diesem damit die Macht gibt dadurch die Würde des Opfers mit Füßen zu treten und es sterben zu lassen?
Bei einer Geiselnahme etwa gibt es die Möglichkeit einen "finalen Rettungsschuss" abzugeben - obwohl auch hier eine Ausnahme gegen das absolute Tötungsverbot eines Menschen vorliegt.
Würden auch hier die Befürworter der "absoluten und von jeder Tat unabhängigen Würde" dafür plädieren, etwa jemanden wie Breivik lustig weiter Menschen hinrichten zu lassen, nur damit seine Würde und körperliche Unversehrtheit unangetatstet bleibt?
Im Fall Gäfgen hätte das Töten des Täters natürlich nichts gebracht. Aber was dann?
Es ist klar, das Folter niemals ein legitimes Mittel eines Rechtsstaates sein darf. Aber dafür wurde der Polizeibeamte auch schon verurteilt - und der Notstandsitiuation dabei Rechnung getragen.
Die Forderung nach Schmerzensgeld ist dagegen so absurd, weil all dies ein Resultat eines selbst verschuldeten Verhaltens ist.
Das wäre so, als würde ein Bankräuber auf Schmerzensgeld klagen, weil er bei der Festnahme durch Handschellen Schrammen an den Händen hat. Oder ein Ladendieb auf "Freiheitsberaubung", weil man ihn durch Festhalten in seiner Würde einschränkt und nicht vor dem Eintreffen der Polizei ziehen läßt. In Fällen wie diesen haben sich die Täter die Einschränkung ihrer Unversehrtheit oder Würde durch ihre Taten selbst zuzuschreiben.
Im Fall Gäfgen dagegen wird oft Ursache und Wirkung völlig aufgehoben, das finde ich befremdlich.
Sollte er tatsächlich am Trauma der Vernehmung leiden, wurde auch dies nur durch sein eigenes Verhalten verursacht. Dafür "Schmerzensgeld" zu fordern ist eine Verhöhnung des Opfers.
Wenn jemand Schmerzen hatte, dann das entführte und ermordete Kind sowie dessen Angehörige für den Rest ihres Lebens...
@Marcel - ich lese weder Blöd-Zeitung noch würde ich irgendeine vorgefertigte Meinung unreflektiert übernehmen. Das geschriebene entspricht meiner persönlichen Auffassung von Ethik, die davon ausgeht das jeder die Konsequenzen für sein Handeln selbst zu tragen hat.
Vor allem würde ich in einem Staat leben wollen, indem die Würde eines Opfers nicht durch die Willkür eines Täters zur Disposition gestellt werden kann. Diese Fälle sind zum Glück selten aber wie wir sehen gibt es sie.
Interessant wäre dann noch die Frage ob jemand auch dann auf die bedingungslose Einhaltung aller Richtlinen beharren würde, wenn sich die eigenen Angehörigen oder sogar er selbst in der Opferrolle befinden würde....
@Marcel: Gilt das Grundgesetz für das Opfer weniger?
@Lazyoli: Nein, hätte bei Breivik auch nichts mehr genutzt. Allerdings lag die Freigabe für den finalen Rettungsschuss tatsächlich vor, obwohl es in Norwegen wie in Deutschland ein Grundgesetz zum Schutz der Menschenwürde gibt. Hätte sich dieser Typ nicht sofort gestellt hätte man in erschossen.
@Alwin: ich halte der Verleich sehr wohl für gerechtfertigt, weil sich in beiden Fällen ein Entführer zum Herr über Leben und Tod ermächtigt und seinerseits die Würde seiner Opfer missachtet. Damit bringt er Aussenstehende in den Entscheidungszwang, zwischen der Würde von Tätern und Opfern abwägen zu müssen!
Was ich an den Antworten der Ultrapragmatiker so bestürzend finde ist das unreflektierte und als nicht weiter hinterfragbare Festhalten an den Buchstaben des Gesetzes.
"Das ist so, weil das Gesetz und die Richtlinien so lauten, daran darf nicht gerüttelt werden und damit basta, Punkt aus."
Mit Verlaub: Mit exakt dieser Einstellung funktionieren Unrechtsstaaten, mit dieser Betrachtungsweise handelten SS-Schergen die das jeweils geschriebene Gesetz für unantastbar und über allem stehend sahen betrachten. Gesetze und Paragraphen sind demnach wertvoller als menschliches Leben.
Denn offenbar würden manche Antworter ja lieber ein Kind sterben lassen, nur damit den Buchstaben des Gesetztes Genüge getan ist und die Paragraphen eingehalten werden.
Damit wird in Ausnahmefällen wie diesen die angebliche Menschlichkeit ad absurdum geführt, weil das Leben eines Opfers der körperlichen Unversehrtheit eines Täters geopfert wird.
Und das IST unmenschlich!
Ich behaupte, die Abgründe menschlicher Bös