Europa der Armut und der Maximalprofite?

Ich bin ja nun einmal in einem Beruf, in dem es sehr viel Bewegung gibt. Also ich heute nachmittag an einer Großtankstelle in Luxemburg stand, waren um mich herum Lkw aller möglichen Speditionen mit überwiegend deutschen und französischen Kennzeichen. Allerdings war ich weit und breit der einzige deutsche Fahrer, ebenso war kein Wort französisch zu hören, sämtliche Fahrzeuge waren mit Osteuropäern besetzt. Ich bitte darum, nicht missverstanden zu werden, ich sehe mich weder als europa- noch als fremdenfeindlich, aber hier nimmt eine Entwicklung ihren Lauf, die mir zunehmend unheimlich wird. Die Kollegen aus Osteuropa werden extrem schlecht bezahlt, was zur Folge hat, dass sie gleichzeitig als Lohndrücker für die Westeuropäer missbraucht werden, sofern es überhaupt zu einer Angleichung kommt, dann doch wohl eher nach unten.
Läuft hier nicht was grundlegend falsch?

Opel - von uns allen tapfer gestützt, hat doch erstmal seinen deutschen Gebietsspediteur rausgeschmissen, der daraufhin pleiteging, nicht ohne, dass dessen Fahrer die osteuropäischen Kollegen einer holländischen (und folglich sehr viel billigeren) Spedition anlernen durften. Es geht mir nicht darum, auf Besonderheiten im Speditionsgewerbe aufmerksam zu machen, diese Probleme gibt es sicherlich auch anderswo, ich nahm mir nur als Beispiel, was ich natürlich kenne.

Aber wie kann man sich einer solchen Entwicklung entgegenstemmen, ohne gleich in Nationalismus und Protektionismus zu verfallen?
Bleiben wir nicht sonst eines Tages alle auf der Strecke - bis auf die, die sich an dieser Art Ausbeutung dumm und dämlich verdient haben?
Und dann?

willou2009-09-04T07:03:55Z

Beste Antwort

Zunächst mal möchte ich gerne stellvertretend für jene
User, die Deinen intelligenten Fragen häufiger be-
gegnen, betonen, dass gerade Du nicht missverstanden
werden darfst ... und unverdächtig bist in Bezug auf
jegliche Diskriminierungsgedanken ...

Nein - gerade weil Du eine Sicht in YC reinbringst ..
Sichtweisen und Erfahrungen, die wir anderen in
YC nicht haben, bin ich froh über solche Fragen mit
umfangreichen Details .... die Entwicklungen be-
leuchten, die sonst im Alltag nicht immer zu
beobachten sind. Dafür gebührt Dir ein Dankeschön ...
dieses sei hier einmal ausgesprochen.

Und tatsächlich bringt es Deine Eingangsfrage schon
auf den Punkt. Das Fragezeichen kann ersetzt werden
durch ein klares und nachdrückliches Ausrufezeichen !!

Ja - wir leben stark zunehmend in einem Europa der
Armut an "den Rändern" der Gesellschaft
und der einseitigen Ausrichtung auf Maximal-
profite.

Und die zu befürchtende schwarz-gelbe Mehrheit
am 27.09. wird diese Entwicklung noch stark weiter
puschen - und aus der Sicht von Volkswissen-
schaftlern, die NICHT von industrienahen Kreisen
alimentiert werden, ist das eine wirklich schlimme
Entwicklung.

Im Augenblick scheint es nur noch die Frage zu sein,
wann die ständig Abwärtstendenz in puncto so-
zialer Gerechtigkeit den Punkt erreichen wird,
wo nicht mehr nur noch in Frankreich Vorstädte
brennen.

Noch erscheint dieses Szenario in weiter Ferne -
wenn ich jedoch die Rhetorik der neoliberalen
Kräfte in FDP und Christ(?)demokraten analysiere,
lässt sich nicht mehr übersehen, dass die
von den Neoliberalen gewollte und akzeptierte
soziale Kälte stark um sich greifen wird.

Was Du in Luxemburg in Deinem Gewerbe mit
wachem Blick beobachtest lässt sich auf vor
allem in traditionellen Wirtschaftsbereichen
seit Jahren zunehmend beobachten.

Und wie rücksichtslos Menschen durch Leiharbeit
und andere Lohndrückermaßnahmen in Hunger-
löhne zum alleinigen Wohl profitgieriger Profiteure
gedrängt werden sollen, beweist sich in der
erklärten neoliberalen Absicht, Hartz-IV-Sätze
so weit nach unten zu verschieben, wie es
eben noch geht. LEIDER unter dem Beifall
von Menschen die arbeiten und einfach
nicht verstehen wollen, dass diese rigiden
Maßnahmen gegen angebliche "Schmarotzer"
ausschließlich dem einen einzigen Zweck
dienen, ihre eigene Erwerbseinkommen
nach unten zu drücken.

Wer heute als arbeitender Mensch fordert, dass
Mill. Kinder in Hartz-IV-Bezug genauso wie
Hunderttausende alleinerziehender Frauen
und behinderter Menschen NOCH WENIGER
Sozialleistungen bekommen sollen, legt damit
den Grundstein dafür, schon sehr bald selbst
immer weniger zu verdienen resp. ganz sicher
NICHT an wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklungen
mitzuverdienen.

Schwer zu durchschauen - aber genau darauf
setzen die starken Lobbyisten-Unterstützer
in FDP und CDU und rechter SPD.

Finis2009-09-04T20:02:03Z

Das was du schreibst, ist mir sehr bekannt. Wahrscheinlich gibt es gleiche Probleme bei der Seefahrt. Sehr schlimm dabei ist noch, mit welchen "Schrottlauben" die Fahrer auf Reise geschickt werden.
Oft wurden aus meiner zweiten Heimat (Russland) bestimmte Waren zu meiner deutschen Firma transportiert, die LKW samt Fahrer waren meist aus Weißrussland. Du glaubst nicht, wie oft ich vom Empfänger angerufen wurde, weil die Karren entweder von der Polizei blockiert wurden oder so defekt waren, dass sie entladen werden mussten. Da die Fahrer durchweg nicht deutsch oder englisch sprachen, musste ich dann über 2000 km Entfernung hinweg noch den Dolmetscher am Telefon spielen nicht nur für meine Firma, sondern auch für die Polizei manchmal schlichtend eingreifen.
Es hat auch Sachen gegeben, dass dem Fahrer die Fahrberechtigung für Deutschland entzogen wurde - der musste dann von einem Kollegen abgeholt werden. Ich sehe hier eine totale Wettbewerbsverzerrung, habe aber leider auch kein Patentrezept.

Übrigens ... einer meiner weitläufigen Verwandten besitzt auch eine kleine Spedition, bei ihm sind nur Fahrer aus einem östlichen EU - Land beschäftigt, ansonsten wäre er angeblich insolvent.

DR Eisendraht2009-09-04T09:48:41Z

Wer sich bei der REKORD-Gewinnermittlung verspekuliert hat, kann das in Ruhe tun. Vater Staat füllt die Lücken.... Steuerzahler und Wähler sind die beste Rückversicherung für Wirtschaftrkriminelle.

Anonym2009-09-04T09:14:54Z

Ich sehe das ähnlich wie "Schleier des Nichtwissens". Langfristig werden sich die Bedingungen global betrachtet angleichen. In den Staaten, die wirtschaftlich jetzt stark wachsen (insbesondere durch die Auslagerung vieler arbeitsintensiver Tätigkeiten), wird sich das Lohnniveau früher oder später anheben. Einige Länder haben diesen Prozess schon durchlaufen, in anderen hat er gerade erst begonnen.

Zu der Überschrift der Frage fällt mir allerdings auf, dass man dort "Europa" sehr gut auch durch "Indien" ersetzen könnte. Dort sind die Verhältnisse noch extremer - ein großer Teil der Bevölkerung lebt in völliger Armut, aber drei Bewohner des Landes stehen unter den Top Ten in der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt.

Adi G. - what else?2009-09-04T07:03:36Z

Eine Angleichung erfolgt immer von "oben" nach "unten". Auch wenn das gewisse politische Parteien anders versprechen: Die "Reichen" haben weniger, aber die Armen nicht mehr ...
Willkommen in der "Geiz ist Geil" Mentalität.

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