Noch einmal zur Identität der Nation: Warum diese Aufgeregtheit?

Die Hasstiraden einiger Antworter auf die letzten meiner Fragen bestärken mich in dem Gefühl, dass im Bereich nationaler Identität noch einiges brodelt.
Die Vehemenz, mit der einige Rechte versuchen, den Nationalismus mit Nationalstolz gleichzusetzen, machen mir Angst.
Je nach Situation fühle auch ich mich als Bremerin, Norddeutsche, Deutsche, Europäerin, Mensch. Ich käme aber nie auf die Idee, auf Dinge, die andere erschaffen haben, stolz zu sein. Das ist dem vorbehalten, was ich selber erreicht habe.
Vielleicht sollte man die Reihenfolge umdrehen, sich erst als Mensch, dann als Europäer, dann als Deutscher usw. fühlen. Dann ist die Gefahr geringer, sich aus diesem Stolz heraus anderen überlegen zu fühlen. Denn das ist ja der Kern meiner Sorge.

Sind viele wirklich schon so verzweifelt, dass sie sich an dem Begriff "Nation" hochziehen müssen? Gibt es wirklich Leute, die ihre individuelle Identität (nur) über das Deutschsein (wahlweise durch andere Nationaliät ersetzbar) finden?
Sind wir tatsächlich so gleichartig? Und müssen diese Schablonen sein?
Im Alltag fühle ich mich doch auch wahlweise als Fahrradfahrerin, Blondchen, Mutter, Geliebte, Frau, Autofahrerin, Konsumentin, Patientin usw. usw. Und so wie diese Etiketten manchmal gerne angenommen werden und manchmal eher etwas unangenehmes repräsentieren ist es bei mir mit dem Deutschsein: manchmal ist es schön, als sich als solche zu sehen (wenn das Wetter schön ist in schöner Landschaft, wenn man im Ausland geachtet wird, wenn "wir" gewinnen im Fußball) manchmal eher unangenehm (bei Diskussionen, warum die Deutschen immer so verbiestert sind, bei der Nazivergangenheit, wenn ich Steuern zahlen muss).
Warum also dieses Beharren?

2009-07-27T07:15:03Z

Cullah, dann lies mal ein paar Antworten auf meine letzten fragen zu dem Thema. Du wirst dich wundern, wie heftig die Nationalen in dieser Beziehung sind.

2009-07-27T20:41:56Z

Bin erstaunt, welch braune Brut hier in Erscheinung tritt.

Anonym2009-07-27T07:28:12Z

Beste Antwort

Wir Deutsche haben ein generelles Problem. Wer als deutscher stolz auf sein Land ist, wird gleich als Nazi abgestempelt. Das liegt halt an unserer Vergangenheit. Aber an diesem Problem sind wir größtenteils selber schuld, weil wir uns gegenseitig damit abstempeln. Meinst du, dass auch nur ein Ausländer bei der Fußball WM in Deutschland gesagt hat, dass es in Deutschland wieder mit dem Nazitum losgeht, nur weil auch die Deutschlandfahne mal wieder geweht wurde? Nein, ganz im Gegenteil. Die Leute haben sich gefreut, dass wir Deutschen auch ein Party-Volk sein können. Die WM in DE war die schönste seit langem hieß es sogar.

Die Deutschen sind lange nicht so nationalbewusst wie andere Völker. Hast du schon mal die französische Nationalhymne (gegebenen Falls übersetzt) gehört? Das ist ein altes Kriegslied. Da geht es ums Feinde abschlachten, wer sich Frankreich in den Weg stellt, stirbt. Genauso ist es in der chinesischen oder ein bisschen sogar in der amerikanischen Hymne. Sagt deshalb irgendeiner, dass wären Nazis?

Die meisten Deutschen sind gar nicht so stolz, wie du sagst. Das sieht man schon an der deutschen Sprache, die wird nämlich verhunzt bis zum geht nicht mehr und mit Anglizismen vollgestopft wie's nur irgendmöglich ist. In Frankreich kommt das nicht in die Tüte. Die Franzosen erkennen noch nicht mal Minderheitensprachen an. Auf Island wird für jedes englische Wort erst mal ein Isländisches erfunden, und das wird unter die Leute gebracht.

Man muss zwischen Nationalstolz und Nationalsozialismus unterscheiden. Weil ich erfürchtig vor Schloss Neuschwanstein stehe, heißt das nicht, dass ich Schlösser in anderen Ländern missachte oder Schloss Neuschwanstein als das schönste der Welt erkläre (was es aber offengestanden wahrscheinlich ist - aber wer weiß, niemand kennt alle Schlösser). Aber ein Deutscher wird auch erfürchtig vor der chinesischen Mauer stehen.

Mit dieser Festgefahrenheit in den "Schablonen" hast du vielleicht Recht, aber das ist auch nicht so schlimm. Viel schlimmer wäre es, wenn man sagen würde: "Ja, das Brandenburger Tor haben WIR DEUTSCHEN gebaut. Toll, oder?" und im nächsten Satz dann: "Mit dem Nationalsozialismus hab ich nix am Hut. Ich bin Europäer." Man muss sich als Deutscher mit den guten und den bösen Seiten abfinden. Man ist halt deutsch, und damit muss man sich abfinden. Durch den Verlauf des europäischen Zusammenrückens ist ein Krieg auf dem Kontinent aber praktisch unmöglich geworden. Deshalb sagen viele EU-Bürger: "Ich bin deutscher/französischer/lettischer/... Europäer!" Und das ist vielleicht genau das Richtige.

Übrigens: Die rechtsradikalen Aktivitäten sind im europäischen Vergleich ziemlich niedrig. Briten sind da beispielsweise viel schlimmer, die haben ja noch nicht mals richtig Bock auf EU, wobei die Union eine der besten Ideen der Menschheitsgeschichte ist. Und Deutschland ist in Umfragen im Ausland immer sehr beliebt. Die Deutschen gelten im großen und ganzen als sympathisches Volk und Deutschland ist so angesehen, dass es von vielen US-Amerikanern als "Verantwortungsvollster Staat mit der besten politischen Aktivität" bezeichnet wir - und darauf darf man ruhig stolz sein, ohne Nazi zu sein. Im Ausland denkt keiner mehr an Deutsche = Nazis, daran denken wir nur selber.

Anonym2009-07-27T09:41:19Z

"Zuerst bin ich Mensch, dann Patriot" schrieb einmal Hermann Hesse in einem Brief.

Ich schließe mich dem an.

Anonym2009-07-27T09:07:25Z

Ebenso könnte man fragen, wozu deine Aufgeregtheit über Leute, die aus irgendwelchen Gründen meinen, stolz auf die Nation sein zu können oder müssen. Es bleibt dir völlig unbenommen, dich als Bremerin, Europäerin, Kosmopolitin usw. zu betrachten, ebenso dürfen diejenigen die es brauchen, stolz auf die Nation sein. Franzosen, Italiener, Spanier, Holländer usw. usw haben auch ihren Nationalstolz. Letztlich ist Nationalstolz nicht strafbar.

Anonym2009-07-27T07:01:02Z

Du bist süß

?2009-07-27T06:58:52Z

Tja, Kleingeister gibt es immer und überall.

Und ja, es stimmt das viele nicht wissen was 'Stolz' ist und das es Nationalstolz eigentlich gar nicht geben kann. Höchstens bei ein paar Rechten. 'Nationalstolz' sollte man eher umbenennen in 'Nationalfreude' oder etwas ähnlichem...

Man freut sich, wenn die eigene Nationalmannschaft gewinnt, man kann sich damit halt identifizieren. Aber wirklich stolz kann man dadrauf ja nicht wirklich sein.

Man kann sich freuen, dass wir in einer Demokratie leben mit so vielen Rechten (also dem Gegenteil von Pflichten :) ), aber darauf stolz sein? Nein, nicht wirklich. Man kann daran mitarbeiten wie so viele andere, und dann kann man auch auf seine Arbeit stolz sein, aber stolz darauf sein ein Deutscher zu sein? Nein, das geht nicht, schließlich wird jeder dort geboren wo er geboren wird. Aber freuen, ja, das kann man sich.

Weitere Antworten anzeigen (5)