Sollen wir in Deutschland die Moscheen aus den Hinterhöfen und Keller holen zum gelingen der Integration?
Politik
04. Februar 2009
Schleier der Angst, Krawalle aus Hass
VON HANNES GAMILLSCHEG
Malmö. In den Schulen im Vorort Rosengård im schwedischen Malmö bleiben nach den Sommerferien in den achten und neunten Klassen oft ein paar Plätze leer. 13- und 14-jährige Mädchen aus islamischen Familien waren während des Urlaubs in der Heimat ihrer Eltern in Ehen gezwungen worden. Viele Mädchen kehren aus den Ländern nicht zurück. Viele Zurückgekehrte leben als Hausfrau. Wenn sie in Malmö ausgehen wollen, hüllen sie sich in Schleier, selten aus freiem Willen, vielmehr aus Angst vor der "Gesinnungspolizei". Das sind Gruppen männlicher Jugendlicher, die diejenigen schikanieren, die sich ihrer Meinung nach "unislamisch" benehmen.
Auch das ist Schweden 2009: In Kellermoscheen und islamischen Freischulen fordern radikale Prediger ihre Zuhörer auf, sich von der schwedischen Gesellschaft zu isolieren und die demokratischen Grundregeln zu missachten. In den öffentlichen Schulen verlangen Eltern, dass Mädchen und Jungs nicht in der gleichen Schulbank sitzen, und während die Jungen Sportunterricht haben, sollen die Mädchen nähen lernen. Islamisten suchen Neuankömmlinge auf, erzählen ihnen, welche Regeln in Rosengård gelten. Es sind nicht die, nach denen man in anderen Stadtteilen lebt.
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Das ist das düstere Bild, das ein von der Stockholmer Regierung in Auftrag gegebener Rapport am Beispiel Rosengård über die mangelnde Integration und die Gefahren für die Demokratie in den hauptsächlich von Zuwanderern bewohnten Vorstädten zeichnet. 86 Prozent der 22 000 Einwohner Rosengårds haben ausländische Wurzeln. 62 Prozent sind arbeitslos. Das sind die offiziellen Zahlen.
Inoffiziell leben dort doppelt so viele Menschen, weil viele bei Verwandten oder Bekannten aus der alten Heimat unterkommen, ohne sich zu registrieren. Zu wenig Platz für zu viele Menschen ist eine Ursache für die Probleme, weil sie die Kinder und Jugendlichen auf die Straße treibt, wo sie in die Hände krimineller Banden und radikaler Hassprediger fallen.
Von 30 Lehrern, Sozialarbeitern und Polizisten, mit denen die Autoren der Studie sprachen, berichten 29 von zunehmender Radikalisierung in den vergangenen fünf Jahren. "Eine kleine Zahl von Extremisten bekommt immer mehr Macht über immer mehr Menschen", sagt der Konfliktforscher Magnus Ranstorp, einer der Verfasser des Rapports. "Frauen, die früher nie Schleier trugen, werden dazu gezwungen, patriarchalische Machtstrukturen werden zementiert.
Neuangekommene Familien, die nicht besonders religiös oder traditionsgebunden waren, sagen, dass sie in ihrer Heimat freier gelebt hätten als hier."
In etwa einem Drittel der rund 15 Kellermoscheen werden "Gewalt verherrlichende Botschaften" verbreitet. Mehr und mehr Familien wählen Islamschulen statt der öffentlichen, in denen sich in den höheren Klassen die Zahl der Schüler halbiert hat. Viele Menschen verlassen das Ghetto nie. "Es gibt Jugendliche, die, obwohl sie hier geboren sind, noch nie in der 20 Minuten entfernten Innenstadt waren", sagt Ranstorp. Er nennt die Segregation als größtes Problem, "sie führt zu einer bösen Spirale von Arbeitslosigkeit, Misstrauen und Bitterkeit gegenüber der Gesellschaft, die wiederum die Isolation verstärkt."
Die Bewohner Rosengårds wissen nichts von Schweden, und die Schweden wissen nichts von Rosengård. Nur wenn es dort Krawalle gibt wie im vergangenen Dezember, als sich Proteste gegen die Schließung einer Moschee in eine Hassorgie gegen die Polizei entwickelte, macht der Stadtteil Schlagzeilen.
Man dürfe "nicht alle Bewohner hier als Radikale abstempeln", sagt die Lokalpolitikerin Lirije Latifi. Aber alle sind sich einig, dass das offizielle Schweden aus Angst, Vorurteile zu schüren, viel zu lange die Augen vor den Problemen verschloss. Jetzt sagt Integrationsministerin Nyamko Sabuni, dass "schwedische Gesetze, Rechte und Gleichberechtigung überall gelten müssen, auch in Rosengård", doch wie sie dafür sorgen will, sagt sie nicht. Und solange Neuankömmlinge automatisch in die Ghettovorstädte ziehen, weil man nur dort für sie Platz macht, wird die Segregation nicht geringer werden.
Frankfurter Rundschau