Ein Plädoyer für die Literatur: Warum lesen wir?

Neulich stellte hier jemand eine Frage, in der er den Vergleich einer Koransure mit dem Gesamtwerk von Goethe, Mann und Brecht anstellte. Nun, seine Sure war ihm das Schönste, was ich akzeptieren kann, es ist letztlich Geschmackssache. Was mich aber störte, war die Überheblichkeit, mit der er mal eben die klassische Literatur abtat, die würden seine Herausforderung nicht bestanden haben etc. Es ergab sich eine kurze Korrespondenz, in deren Verlauf sich herausstellte, dass er nichts von den drei (im Grunde ja sechs, wenn man die Manns als Familie betrachtet) genannten Autoren gelesen hatte, dass er also einen Vergleich anstellte, ohne zu wissen, was er da verglich. Nun, wie gesagt, seine Sure mag Geschmackssache sein, wesentlich schlimmer fand ich, dass hier ein junger Mensch in einem Alter, in dem der Geist normalerweise so weit offen ist, wie später nie wieder, bereits für die Schönheit jeglicher Literatur verloren ist, sieht man vom Koran ab, und der Tatsache, dass vermutlich seine Rundumversorgung mit Suren gesichert ist. Das ist in meinen Augen eher tragisch, auch wenn er das nicht verstehen wird.
Aber daraus ergibt sich die Frage: Warum lesen wir? Bitte hier keine Plattitüden oder die übliche Aufzählung diverser Lieblingsbücher vom Herrn der Ringe über Harry Potter bis(s) zu Stephanie Meyer.
Nein, warum lesen wir, was gibt es euch ganz persönlich, warum müssen Vielleser immer weiter lesen?
Wie würdet ihr so jemanden von der wirklichen Schönheit der Literatur überzeugen wollen (wenn er denn erreichbar wäre)?

Anonym2009-01-22T11:05:25Z

Beste Antwort

Ich verstehe den den Mann, der von der Schönheit einer Sure berührt wird.
Mir geht es mit manchen Bibelversen vielleicht ähnlich.
Aber ich lasse mich auch gern von den Gedichten Bert Brechts berühren,
den Balladen Schillers, den erzählungen Hermann Hesses, ja und auch vom Herrn der Ringe.
Ich will jetzt auch nicht meine Lieblingsautoren aufzählen, ich habe die obigen genannt, weil sie für verschiedene Epochen, Stile und Inhalte der Literatur stehen.
Literatur ist für mich Abschalten und Entspannung, aber auch Information und Weiterbildung und (kritische) Reflexion des Lebens.
Ich bin überzeugt, dass Lesen den eigenen Horizont erweitert und
natürlich auch die Sprachkompetenz schult. Lesen schafft Phantasie und Kreativität und hilft uns Denken zu lernen.
Ich möchte jeden Menschen zugestehen, daß er sein persönliches (Lieblings-)Buch hat, sei es der Koran, die Bibel oder auch Harry Potter, aber dieser Mensch mag auch bedenken, dass die Worte in diesen Büchern nicht vom Himmel gefallen sind (auch wenn sich die Propheten auf göttliche Eingebung berufen), die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben hat sich in der Menschheitsgeschichte nicht von heute auf Morgen entwickelt. Es war ein generationsübergreifender Prozess. Das geschriebene Wort ist eine wesentliche Grundlage aller menschlichen Zivilisation.
Und diese globale Zivilisation auf einen Vers zu reduzieren, dass erscheint mir schlichtweg ignorant.
Denn auch wenn ich auf einem Feld die schönste Blume überhaupt fände, so müßte ich doch weitersuchen nach dem Korn um nicht zu verhungern.

Anonym2009-01-23T02:10:52Z

Man darf einfach sich selbst nicht zum Maßstab für andere machen. Ich finde es auch schade, dass viel zu viele Menschen mit Literatur wenig anfangen können, manchmal sogar aus ideologischen Gründen, wie es bei deinem Bekannten wohl der Fall ist.
Nun, für uns gilt ja auch dasselbe auch. Ich habe den Koran gelesen, er sagt mir offen gestanden gar nichts, für andere mag er Zentrum des Lebens sein.
Wie sollen wir von Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund erwarten, dass sie sich plötzlich für die deutsche Literatur begeistern. Der Anspruch ist zu hoch, meine ich.

****rosenrot****2009-01-22T10:49:54Z

Als Vielleser würde ich folgendes sagen:
Jedes Buch - egal aus welchem Genre - eröffnet mir eine neue Welt. Eine Welt, in der ich lebe, solange ich dieses Buch lese. Und wie das so ist in der Welt, stellen sich neue Fragen - die mich dazu veranlassen, ein nächstes Buch zu lesen. Und so geht das immer weiter...
Und Paradox: Auch Bücher wie "Der Herr der Ringe", Harry Potter" oder die "Biss-Erzählungen" von Stephanie Meyer sollte man nicht einfach abtun - auch wenn sie nicht meinem Geschmack entsprechen!
Hauptsache ist doch, es wird überhaupt gelesen!

Anonym2009-01-22T09:57:19Z

Ich lese, weil der Geist eines Menschen schwarz auf weiß lebendig wird. Wenn ich in seine Geschichte eintauche und die Schönheit seiner Sprache in mich hineinsauge, dann bin ich für kurze Zeit in seiner Welt.

Betti2009-01-22T08:04:12Z

Warum wir lesen? Ich denke das ist ganz simpel. Wir lesen einerseits um zu lernen, um Wissen zu bekommen, an das wir sonst nur schwer herankommen. Wir lesen, um Erfahrungen zu teilen oder neu zu erfahren, auch wenn sie fiktiv sind.
Ich lese um zu träumen, um abzutauchen, um zu merken, dass meine Gedanken mit ihrer Meinung oftmals nicht alleine sind.
Ich lese um mich fesseln zu lassen, um begeistert zu sein, von Autoren, Figuren und ihrer Persönlichkeit.
Wir lesen um zu leben.
Und Menschen wie dein jungen Herr im jungen Alter tun mir eher Leid, als dass ich sie bewundere. Auch ich kenne genug von ihnen. Aber wie diese "bekehren"?
Vielleicht müsste man ihnen das Lesen schmackhaft machen, aber wie, wenn sie sich weigern?
Beinah unmöglich. Ich weiß nicht wie.

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