Steckt in den Menschen - zumindest in sehr vielen - eine grundsätzliche Sehnsucht nach der Diktatur?
Den Eindruck gewinne ich zumindest, wenn ich lese, mit welch abfälligem Unterton das Wort "Demokratie" von so vielen benutzt wird, oder mit welchem Eifer ständig nach einem starken Staat, der alles und jedes mit Gesetzen regeln soll. Ich bekomme ihn aber auch, wenn ich sehe, wie (eigentlich demokratische) Politiker wie Schäuble die sogenannten olympischen Spiele in Peking loben, ohne auf Umstände einzugehen, wie etwa im Umfeld dieser Spiele Menschen "verschwanden".
Ist das so? Wunsch nach Diktatur auf allen Seiten?
2008-08-30T05:40:32Z
Da fehlt ein Wort, es soll natürlich heißen: "ständig nach einem starken Staat gerufen wird"
Anonym2008-08-30T10:21:03Z
Beste Antwort
Nein, ich glaube nicht, dass es hierzulande eine grundsätzliche / allgemeine Sehnsucht nach "Diktatur" gibt, sicher aber eines nach Ordnung und Stabilität. Diejenigen, die so laut nach einem starken Staat und straffer Führung rufen, werden vermutlich sehr schnell leise, wenn man ihnen die Gelegenheit gäbe, mal am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, selbst in einem solchen Staat zu leben - insbesondere dann, wenn dieser starke Staat gegen sie z.B. wegen einer abweichenden Meinung, Zugehörigkeit zur falschen Volksgruppe oder auch nur wegen eines Verdachtes vorgeht. Wer es vorzieht, statt eines konsensbasierten Systems lieber der Willkür eines Diktators, Monarchen oder Tyrannen ausgeliefert zu sein, beweist bestenfalls, dass er in Geschichte vermutlich mehrheitlich geschlafen hat.
Das Phänomen dieses "Führer-/Führungswunsches" innerhalb von Demokratien ist uralt - ähnliches konnte man schon in den frühesten Demokratien z.B. im antiken Griechenland kurz nach ihrer Entstehung beobachten. Wenn das Wissen um, der direkte Vergleich mit diktatorischen Systemen fehlt - dazu reichen mitunter bereits zwei Generationen -, kann man die Demokratie leicht als zu schwach, zu führungslos oder als Regierungsform der dummen Masse schmähen. "Demokratie als Diktat der Mehrheit" einer reinen Utopie im Stile von Morus oder Ghandi gegenüberzustellen fällt in eben dieses Schema, wenngleich auf intellektuell etwas höhrem Niveau (zumal Ghandi mehr auf den Menschen / das pers. moralische Verhalten als denn auf die Staats- oder Systemtheorie abzielte - im Gegensatz z.B. zu Nehru). Ein Maximum persönlicher Freiheit im Sinne eines anarchischen Systems ist in einem Gemeinwesen faktisch nur auf Kosten der Freiheiten anderer Individuen zu erreichen, wenn kein hinreichendes Maß moralischer Integrität aller Individuen erreicht ist. Und: Alle Versuche, eine Regierungsform der Besten / Weisesten etc. auf Staatsebene einzuführen, sind in der Geschichte grandios gescheitert, weil "Weisheit" oder "Sachkenntnis" keine Garanten für Integrität sind und das, was rational am besten scheint, weder Unterdrückung / Unfreiheit noch Ungerechtigkeit ausschließt. Zumal solche "Eliten" gerne dazu neigen, sich selbst als Elite zu definieren - ein Witz in sich, der aus Standesdünkel, Überheblichkeit und Dummheit geboren ist. Wer seine persönliche Freiheit hierzulande durch das polit. System als zu sehr beschränkt ansieht, wird von niemandem - auch vom Staat nicht - daran gehindert, sich anderswo auszuleben: noch ein feiner Unterschied zu hinlänglich bekannten Systemen mit straffer Führung. Ich habe schon genug Leute kennengelernt, die keine Gelegenheit auslassen, über die "Deppen da oben" zu schimpfen, aber kein einziger von denen ist bereit, sein eigenes Leben in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und wirklich aktiv daran mitzuarbeiten, unser politisches System zu verbessern. Dass gerade hierzulande viele nach eigener Meinung bessere Fussballtrainer, Schiedsrichter, Medienmacher, Innenminister, Richter, Manager, Staatsökonomen etc. sind, ist hinlänglich bekannt - und es ist evtl. für die Allgemeinheit ganz gut, dass solche kaum je Gelegenheit haben, ihr selbst vermutetetes "Bessersein" jemals wirklich unter Beweis stellen zu müssen.
Das andere von Dir beschriebene Phänomen hat m.E. mit Demokratie nicht viel zu tun, sondern ist eine Frage der sog. 'politicial correctness' und auch des persönlichen Anstandes eines Politikers. Der Westen und auch unser Land hat fraglos ein dezidiertes wirtschaftliches Interesse an China - massive Systemkritik von Seiten eines Regierungsmitgliedes ist vor diesem Hintergrund weder erwünscht (Regierung, Partei, Lobbies / Verbände etc.) noch zu erwarten, aber um so positiver, wenn sie denn als persönliche Stellungnahme abgegeben wird. Was mich da mehr stutzig macht, ist das beredte Schweigen seitens einiger Poltiker jenseits der in der Regierung aktiven, die sonst so gerne als Ritter der Demokratie und Freiheit unterwegs sind.
Wer wünscht sich schon einen schwachen Staat oder eine zerstrittene Führung? Trotzdem ist die Demokratie immer noch die beste Staatsform aller bekannten Staatsformen.
Auch wenn ich nicht Alles unterschreiben würde, was Onegreyo geschrieben hat, so ist es doch sehr durchdacht! Selten so differenzierte Statements gelesen: Besten Dank! Dieser Beitrag sollte Jeder und Viele andere auch noch lesen! Ein sehr guter Beitrag! Lob!
ein eindeutiges JA! der spruch: "der mensch ist ein herdentier" ist eben nicht nur ein spruch, sondern sagt, wie es ist. im grunde wäre es ja auch nichts schlimmes, wenn man sich leiten läßt, da es immer einen gibt, der besser, klüger und vernünftiger ist, als man selbst. das schlimme jedoch ist, das dieser genetisch verankerte wunsch des "geführt" werdens, sehr häufig das selbständige denken und verantwortung übernehmen.....komplett einschlafen lässt. das zeigen mir hier sehr sehr viele fragen und antworten. hauptsache einer führt mich, hauptsache einer denkt für mich, hauptsache ICH muss es nicht tun. wie sonst ist es zu erklären, das so viele auch noch dem dümmsten hinterher rennen? die menschen werden sich nie wirklich ändern. wer am lautesten brüllt, dem läuft man hinterher. und wenn dann das, was der da vorne verzapft nichts taugt......ok......ist ja nicht meine schuld.......
Grundsätzlich ist der Mensch nie zufrieden, mit welcher politischen Richtung er sich auch auseinandersetzen muss. Als das römische Reich florierte, und es den Menschen eigentlich gut ging gab es Aufstände und das Reich wurde zerstört. In jeder politischen Kultur gibt es Befürworter und Gegner. In einer Diktatur hat der Mensch einen gewissen Halt und muss keine eigenen Entscheidungen treffen. Wir in der Schweiz leben in einer sehr offenen Föderation. Persönlich finde ich es die beste politische Richtung, weil der Bürger noch sehr viele Möglichkeiten hat, selber Initiative zu übernehmen. Je weiter weg sich die Politiker vom richtigen Bürger wegbewegen (zum Beispiel EU-Parlament Brüssel) desto weniger können sie die Sorgen und Nöte eines Bürgers verstehen. Das gleiche gilt für eine Diktatur, die an und für sich nichts schlechtes wäre, aber eben meist sehr selbstherrlich vom Regierenden aus.