Wie beeinflusst die Konsumkultur die Persönlichkeit, die Lebensweise und das Denken der Menschen...?
...in ihren vorgegebenen Kulturen? Wie wird sie ein Teil von uns, und was heißt es, sich gegen die Kultur des Sehens und des Wortes zu wehren, die die Realität zunehmend zu reduzieren und vereinfachen scheint, damit sie sich leicht kaufen und verkaufen lässt? Gefragt von Siri Hustvedt, New York, USA
Diese Frage ist Teil der Initiative dropping knowledge. Yahoo! unterstützt diese Aktion, bei der am „Table of Free Voices“ 100 Fragen gestellt und von Vertretern aus aller Welt beantwortet wurden. Weitere Informationen dazu bei uns im Blog oder unter www.droppingknowledge.org
Deus ex Machina2006-09-26T02:45:29Z
Beste Antwort
Es ist weder die Kultur des Sehens noch die des Wortes, welche die Realität zunehmend reduziert und simplifiziert. Es ist die Gedankenlosigkeit der Menschen - was unterscheidet den Homo consumens von einer Mülltonne? Die Mülltonne muß man leeren, bevor man sie wieder anfüllen kann. Der Homo consumens leert sich von selbst und erzeugt dadurch wieder neu zu füllenden Platz. Es ist so einfach, im An- und Verkauf sein Lebensglück zu finden, weil man für Geld scheinbar alles erhält und sich nicht so viel Gedanken über den anderen Menschen zu machen braucht (ja, man braucht sich nicht einmal Gedanken darüber zu machen, ob der Betreffende das zu verkaufende Produkt benötigt; sofern er es kauft und bezahlt und dann verschwindet, ist alles in Ordnung; und manche Leute empfinden es heute tatsächlich noch als unhöflich, Nein zu sagen!) Die Ökonomisierung auch der sozial ausgerichteten Bereiche der Gesellschaft zwecks Kosteneffizienz bestimmt mehr und mehr die gesellschaftliche Realität. Auch Freundschaften, Beziehungen und Ehen kann man kündigen wie ein Abonnement. Die Lockerung der menschlichen Beziehungen macht die Menschen in ihrem Leben noch abhängiger von einem Arbeitsplatz (weil sie ja allein leben und Geld verdienen - "Single-Gesellschaft"), und diese Abhängigkeit macht sie zu mehr oder weniger willfährigen Gehorsam Leistenden gegenüber den Oberen, die die Löhne kürzen und sich selbst satte "Leistungs-"zahlungen zukommen lassen. Und über allem schwebt die Hau-drauf-Keule: "Wenn ihr die Lohnkürzungen nicht hinnehmt, verlagern wir den Standort ins billigere Ausland!" Da kann ich nur, Nietzsche paraphrasierend, schreiben: Fürchtet euch vor den Zu-Kurz-Gekommenen oder denen, die glauben, sie seien zu kurz gekommen! Denn ihr Ressentiment wird eines Tages wieder in rohe Gewalt umschlagen! - Denn ist es nicht so? Die Tendenz zur Unkultur erzeugt Barbarei.
In meinem Beruf als Schulhausmeister hatte ich bis letztes Jahr auch einen Kiosk-betrieb, der während der Pausen geöffnet war. Dort kamen z. T. 11-jährige Kinder und gaben pro Tag bis zu 20 € für Süßigkeiten aus. Wenn mir auffiel, das ein und der selbe Schüler mehrfach hintereinander so viel Geld ausgab, informierte ich die zuständige Lehrkraft und dabei stellte sich oft heraus, dass ausgerechnet jene Kinder entweder ein Lernproblem hatten und/oder schlecht Freunde fanden und im Regelfall hart arbeitende Eltern hatten, die wegen der Karriere die Kinder aus den Augen verloren. Diesen Mangel an Aufmerksamkeit versuchten die Eltern dann, durch erhöhte finanzielle "Zuwendungen" zu kompensieren. Diese Entwicklung ist insofern problematisch, weil diese Verhalten eine gewisse Gefühlskälte voraussetzt, die sich auf die Kinder überträgt. Auch lernen diese Kinder nicht, das Eigentum anderer zu respektieren, da sie ja für ihr Eigentum nicht arbeiten mussten und das Geld ohne eigenes dazutun sprudelt. Bezeichnenderweise habe ich in meiner langjährigen Tätigkeit festgestellt, dass in Klassen mit vielen "reichen" Kindern oftmals die "ärmeren" Kinder als "moralische Instanz" fungieren.