Ist die Geschichtsschreibung vertrauenswürdig? (SIEHE DETAILS)?
Viele seriöse Wissenschaftler sind der Meinung, dass Teile der länger zurückliegenden Geschichte komplett umgeschrieben werden müssten. Die Vorstellungen die wir vom Mittelalter haben, z.B. beruhten nur auf Annahmen, die aus bestimmten Fundstücken und Überlieferungen geschlossen worden sein. Dabei entwickelte sich eine Eigendynamik, sodass bald nicht mehr zwischen gesicherten Fakten und wagen Vermutungen unterschieden werden konnte. Das Mittelalter in Mitteleuropa z.B. kann durchaus auch ganz anders ausgesehen haben, als wir uns das anhand von "Mittelalterfilmen und -Büchern" Glauben machen möchten. Noch schlimmer ist es mit bestimmten Episoden der Antike, über die wir noch weniger wissen.
Was meint ihr dazu? (Ich habe eine Meinung dazu, schreibe sie jedoch später erst als Details...)
egima2006-09-02T06:41:30Z
Beste Antwort
Ich denke, hier kann man nicht eindeutig von vertrauenswürdig/nicht vertrauenswürdig sprechen. Manches ist "einigermaßen" vertrauenswürdig, meist das, was durch archäologische Funde belegt ist. Natürlich gibt es auch hier Irrtümer und Interpretationsspielräume, aber immerhin hat man als Grundlage "harte Fakten", die eine gewisse Objektivität besitzen (eine ausgegrabene Tonscherbe IST, sie ist nicht VIELLEICHT, man kann sie nicht wegdiskutieren und sie existieren unabhängig von einer Meinung). Allerdings sind Fundstücke oft zu lückenhaft, um ein geschlossenes Bild zu liefern, sie sind nicht frei von Interpretationen (wurde eine Schüssel hier hergestellt oder importiert?) und auch hier geschehen genug Irrtümer (z.B. in der Datierung).
Betrachtungen, die auf Sachkritik oder experimenteller Archäologie beruhen, dürften auch noch recht zuverlässig sein - vorausgesetzt, die Sachkritiker und Experimentatoren haben auch hinreichend gute Grundlagen verwendet.
Schriftlichen Aufzeichnungen kann man weit weniger trauen. Alles, was geschrieben wird, wird mit einem hinterlegten Zweck geschrieben. Nach Kriegen kann der Sieger sich immer rechtfertigen - schuld waren die anderen - und nicht selten springen Autoren der Verliererseite auf den Zug auf und biedern sich an. Nach gesellschaftlichen Umbrüchen versuchen die Autoren des neuen Systems oft, ihre neue Welt als die bessere darzustellen, was nicht selten auf eine Verteufelung des Alten hinausläuft. Wer weiß, vielleicht würden wir über Wilhelm II und Tirpitz etwas freundlicher denken, wenn die Weimarer Republik nicht so sehr um Akzeptanz hätte kämpfen - und schreiben - müssen. Hier schrieben nicht nur die Sieger des Ersten Weltkrieges Geschichte, deutsche Autoren verteufelten das Kaiserreich kräftig mit - und bei aller berechtigten Kritik an Willi II gingen sie dabei vielleicht zu weit?!.
Überhaupt muß man bei Rechtfertigungsschriften aufpassen. Hans Delbrück analysiert sehr aufschlußreich Caesars Zahlenangaben in seiner "Geschichte der Kriegskunst - Band 1" und nimmt sie regelrecht auseinander. Ob er recht hat, weiß ich nicht, aber seine auf Sachkritik statt geschriebener Quellen beruhenden Analysen geben den Galliern ein anderes Gesicht.
Oft wird auch versucht, dem Leser eine Meinung aufzunötigen. Neros schlechter Ruf dürfte auch daranliegen, daß meist nur spätere christliche Quellen verwendet werden - und diese christlichen Autoren waren wohl nicht geneigt, Nero als nette Person zu schildern. Das Phänomen gibt es heute - im Zeitalter der "objektiven" Geschichtswissenschaft - auch noch. Ein gewisser ZDF-Historiker wurde nach einer Dokumentation über die Bismarck gefragt, warum er bestimmte Fakten weggelassen oder irreführend dargestellt habe. Seine Antwort war, daß es nicht im Interesse des deutschen Fernsehens sei, eine Sendung so aufzubauen, daß der Zuschauer evtl. Sympathien für die Bismarck entwickeln könne. Sprich, da wurden mir als "mündigem" Bürger bewußt Dinge verschwiegen oder falsch hinterbracht, nur, damit ich nicht evtl. eine unerwünschte Meinung annehmen könnte.
Interpretationen sind wohl das schwächste Glied in der Kette der Geschichtsschreibung. In allen Wissenschaften werden etablierte Theorien wie Erbtanten behandelt, man hätschelt sie, aber man kritisiert sie nicht. Daher können manche Interpretationen fortbestehen, wenn sich die Gegenbeweise längst himmelan türmen. Auch unterliegen Interpretationen nicht selten Modeerscheinungen - ich entsinne mich eines interessanten Gesprächs mit einem Historiker über die Definition eines Volkes. Was ist bspw. das Volk der Goten - und wie wurde die Frage in den vergangenen 200 Jahren beantwortet...
Von daher denke ich, man kann den Funden am meisten vertrauen, der Logik und dem Experiment weitgehend, aber allem Geschriebenen und der Interpretation nur mit großer Vorsicht und Betrachtung der Motive des Autors. Letztlich wird auch dem interessierten Laien nur übrigbleiben, sich selbst eine Meinung zu bilden - und bereit zu sein, diese zu ändern, wenn andere, neue Gesichtspunkte auftauchen. Die Geschichtsschreibung wird jedenfalls - ohne das Mittel einer Zeitreise - nie zu einem endgültigen Ergebnis kommen.
Wuerde mich interessieren, welches Land auf dieser Erde % zum Budget am meisten in ihre Geschichte "investiert". Unter der Erde, in den Museen und Ueberliefertes stellt Bestand fuer jahrzehntelange Untersuchungen. Arbeiten die Staaten zusammen um an eine "grenzenlose" Geschichte zu schreiben?
Ich denke, dass bis jetzt die Geschichte zu luekenhaft ist, wie ein grosses Puzzel das zuerst zusammen gekleppt werden muss, um danach auch noch eine richtige Interpretation zu erlauben. Die schwachen Mittel reichen dafuer einfach nicht aus.
Die Geschichtsschreibung kann unter KEINEN Umständen vertrauenswürdig sein Sie wurde nur von den Siegern geschrieben Man will uns durch Geschichte auch manipulieren
Zu dieser Frage kann ich den Interessierten nur hinweisen auf Uwe Topper: ERFUNDENE GESCHICHTE (leben wir im Jahre 1702?) natürlich wird Herbert Illig auch erwähnt dabei
Natürlich gibt es zahllose Lücken, die aber nicht allein von dem Alter der betrachteten Periode abhängen, sondern auch vom Land und der Kultur und dem Niveau ihrer damaligen Geschichtsschreiber. Alle haben sie ihre Stärken und Schwächen. Auch die Informationsflut der Neuzeit kann den Blick gewaltig eintrüben und verfälschen. Man kann heute für jeden Blödsinn irgendeine Bestätigung finden, wenn man nur lange genug sucht und den Rest der Fakten ignoriert.
Wichtig dabei ist eine halbwegs wissenschaftliche Vorgehensweise. Ordentliche Geschichtsbücher grenzen bekannte Lücken formulierungsmäÃig ein und betrachten sie von allen Seiten - politisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell usw., vergleichen archäologische Fakten mit den Ãberlieferungen usw. und das ganze unter Umständen kulturübergreifend - wenn es sich um Weltreiche/Weltkulturen handelt. Auch nennen sie immer die Quellen für Behauptungen, die keine Mehrheitsmeinung darstellen, - und wenn sie noch besser sind auch die Primärquellen für weniger bekannte Einzelheiten allgemein. Wenn du als Normalbürger wissen willst, ob ein Geschichtsbuch nah an der Wahrheit dran ist - nimm möglichst zwei oder drei zum gleichen Thema aus der Bibliothek, - am besten solche mit vielen FuÃnoten im Anhang und einem ordentlichen Index, und schau ähnliche Titel möglichst themenübergreifend durch. (... themenübergreifend: Geschichtsbücher mit anderen Aufgabenstellungen behandeln unter Umständen das gleiche Problem am Rande mit, aber unter völlig anderen Gesichtspunkten - das bringt immer mal wieder neue Erkenntnisse. Dann kopiert man mal 1-2 Seiten und spart sich das Schleppen eines weniger bedeutenden Buches.)
PS: ich bin kein Historiker, ein solcher hätte wohl noch mehr Tips.